Wie zu erwarten saßen am ersten Vorlesungstag die Auslandsstudenten wieder einmal als Erste im Unterrichtsraum. Zu den Teilnehmern des Mittelkurses gehören Marvin, Paul und Katharina aus Duisburg, Florian, Marius und Michael aus Bremen, Yosuke und ich aus Marburg, die Kanadierin Cassy und schließlich drei Chinesen, deren Name ich nicht weiß. Mit Katharina hatte ich ja bereits einige Zeit verbracht, Michael kannte ich noch von den ersten Tagen in Japan und Florian war der Riese, der beim medical test zu groß für die Vermessung war. Ein wenig nervös saßen wir alle bereits um Viertel vor neun in Raum A403 und harrten der Dinge, die da kommen würden. Und das war erst einmal nichts. Zumindest nicht bis zehn nach neun, dann kam unsere Lehrerin nämlich hektisch hereingestürmt, warf beinahe ihre eigene Tasche vom Tisch und wühlte in einem Wust von Blättern und Büchern herum. Nach einer Begrüßung und einleitenden Worten, von denen alle fast nur ein Wirrwar von Silben wahrnahmen, schrieb sie ihren Namen an die Tafel: Sakatani. Und ohne großes Drumherum schlug sie das Buch auf und der Unterricht begann.
Eines vorweg: Der gesamte Unterricht ist auf Japanisch. Sowohl die Lernmaterialien, als auch die Unterrichtssprache sind komplett Japanisch ohne Ausweichsmöglichkeiten ins Englische. Und das finde ich gut, da man so wirklich gezwungen ist sich mit dem Japanischen auseinanderzusetzen. Wird ein Wort oder Ausdruck vom Lehrer erklärt, so geschieht dies mit Synonymen, Umschreibungen, Zeichnungen oder auch mit Händen und Füßen. Aber nicht auf Englisch. Pro Lektion wird dann ein Text bearbeitet, der am eingangs gelesen und dann auf neues Vokabular, neue Grammatik oder neue Redewendungen untersucht wird. Am Ende geht man den Text dann nochmals durch. Zwischendurch macht man zum neuen Vokabular, zur Grammatik oder auch zu Ausdrücken schriftliche sowie akkustische Übungen oder verfasst kurze Aufsätze. Diese gesamte Lektion erstreckt sich auf sechs Unterrichtsstunden, von denen wir täglich drei haben, zwei Vormittags und nochmals eine Einheit Nachmittags. Man kann also sagen, dass wir rund zwei Tage mit einemText beschäftigt sind. Vielleicht mag sich das nun ganz schnell anhören, aber der Unterrichtsfluss ist meist ziemlich langsam. Für neunzig Minuten stehen etwa vier neue grammatische Regeln auf dem Programm, was bedeutet, dass eine einzige grammatische Regel auf zwanzig Minuten breitgewälzt wird. Das ist wie zu wenig Butter auf zu viel Brot. Vielleicht kommt es aber nur mir so lange vor, da ich die Grammatik bisher komplett beherrsche und mich ein wenig langweile.
Der Unterricht hängt aber immer auch vom Lehrer ab. Und da ich jeden Tag einen anderen Lehrer habe, bleibt abzuwarten wie die einzelnen Lehrer den Unterricht gestalten. Frau Sakatani war zumindest ziemlich hektisch, so dass man beim Sprechen kaum hinterherkam. Dementsprechend mager war die Beteiligung, weshalb sie oftmals ihre Fragen selbst beantwortete.
Insgesamt war unser Kurs ziemlich ruhig. Zumindest wir Deutschen sind gewohnt entweder nur zu reden, wenn wir drangenommen werden oder die Hand zu haben, wenn wir etwas loswerden wollen. Und da Frau Sakatani meist nur Fragen stellte, ohne irgendjemanden dranzunehmen kam von den Deutschen meist kein Ton. Viel lauter waren da die Chinesen, die, sobald sie etwas wußten, lauthals in den Raum brüllten, auch wenn sie gar nicht gefragt waren. Einer der Chinesen ist mir bereits am ersten Tag negativ aufgefallen, da er es geschafft hat den ganzen Unterricht durchzuplappern. Wurde eine Aufgabe gestellt, rief er gleich seine Lösung in den Raum. Sprach ein anderer, verbesserte er gleich dessen Fehler. Und sagte Frau Sakatani etwas Wichtiges, wurde er nicht müde dies stets zu kommentieren. Wären seine Aussagen von Gehalt gewesen, hätte man vielleicht über die Nützlichkeit diskutieren können, da er aber meist selbst Fehler machte und lauthals Richtiges falsch verbesserte, war er schlichtweg nervend. Das fand dann auch die Lehrerin, die eigentlich sehr freundlich und gefasst war und fuhr ihn an, dass er doch ruhig sein solle. Genützt hat es leider nicht sehr viel, bereits fünf Minuten später plapperte er wie gewohnt weiter. Obwohl es für uns Deutsche Überwindung kostet Japanisch zu sprechen und gegen den Chinesen anzureden, habe ich gut mitgemacht. So war ich am Ende des Tages eine von etwa 3 - 4 Personen, die aufgepasst und den Unterricht vorangebracht haben.
In der Mittagspause war dann eine Willkommensfeier für die ausländischen Studierenden, wozu wir alle herzlich eingeladen waren. Frohen Mutes bin ich also hingegangen und habe den Worten der veranstaltenden Studierenden und Lehrer zugehört, wenn ich auch vieles nicht wirklich verstehen konnte. An einem Punkt wurden dann alle Ausländer auf die Bühne gezerrt und jeder musste sich mit einem Mikrofon in der Hand auf Japanisch vorstellen. Zu meinem Erstaunen war ich gar nicht richtig aufgeregt. Vielleicht deshalb, weil jeder sich diesem Zwang fügen musste und somit alle in einem Boot saßen. Ganz gelassen nahm ich dann also das Mikrofon, begrüßte die Anwesenden, nannte meinen Namen, meine Universität und mein Heimatland und bedankte mich für die Aufmerksamkeit. Dann gab es einen Applaus und ich durfte lächelnd von der Bühne gehen. Kurz darauf wurde das Buffet eröffnet, bei dem sich Japaner und Ausländer näher kennenlernen konnten. Erst einmal stand ich alleine da, bis mir ein Teller in die Hand gedrückt wurde und ich mich ins Getümmel warf. Das Buffet bestand aus Sandwiches (natürlich ohne Kruste), Sushi, Fleischbällchen, Kuchenstücken und Donuts. Interessant war, dass sich alle mit Stäbchen bedienten und auch damit aßen. Bei Sushi mag dies weniger seltsam wirken, aber ein ganz normales Sandwich mit Stäbchen zu halten und dann vorsichtig abzuknabbern, kam mir doch ein wenig suspekt vor. Also nahm ich das Sandwich mit den Stäbchen und schob es mir dann ganz unjapanisch mit den Fingern in den Mund. Kurze Zeit später kam ich dann auch mit zwei jungen Japanerinnen ins Gespräch. Ziemlich direkt fragten sie mich auf Englisch nach meiner Universität, meiner Erfahrung mit der Japanischen Sprache und meinem Alter, um dann gleich zum Thema zu kommen: "Hast du eine Freundin? Meine Freundin hier wäre nämlich gerne mit dir zusammen." Da musste ich erst einmal schlucken und verdutzt schauen. Nachdem die Mädchen begannen nervös zu giggeln, versuchte ich mich aus der Situation zu stehlen, indem ich sagte, dass ich eine Freundin in Deutschland habe, was die Japanerin gleich nutzte um forsch nachzuhaken, ob ich denn meine deutsche Freundin für ihre japanische Freundin verlassen würde. Da habe ich dann vehement verneint, was die Japanerinnen veranlasste niedergeschlagen wegzugehen, um sich dem nächsten Ausländer zuzuwenden. Kaum hatte ich Lee von meinem Erlebnis erzählt, traf ich bereits auf die nächste Japanerin, die mich unbedingt ihrer Freundin vorstellen wollte. Diese hatte ja bereits viele Deutsche Freunde und würde mich auch gerne näher kennenlernen. Mit einem gestellten Lächeln und dem scheinheiligen Versprechen ich würde darüber nachdenken, schlich ich mich auch hier davon und verbrachte den Rest der Veranstaltung nebe Lee, wobei ich penibel darauf achtete so auszusehen, als wäre ich in ein wichtiges Gespräch vertieft. Erst dann fiel mir auf, dass fast nur japanische Mädchen zu der Veranstaltung gekommen waren. Alle waren vollkommen aufgestylt und alle mit dem gleichen Ziel: Einen großen ausländischen Studenten zu erobern. Jeder der nicht japanisch aussah, stand auf ihrer Abschussliste, allen voran große und blonde junge Männer. Da war es egal, ob sie ungepflegt oder schlecht angezogen waren. Wenn sie eines der beiden Suchkriterien erfüllten, wurden sie von Japanerinnen umschwärmt, wie Licht von einem Schwarm Motten. Es war amüsant anzusehen, wie Fabian, ein Student aus Duisburg, von einer regelrechten Meute von Mädchen umringt war. Immerhin war er groß und noch dazu blond, was wohl irgendeinen Schalter bei den jungen Japanerinnen umgelegt hatte. Hinterher meinte er, dass er nur von zwei Mädchen die Telefonnummern behalten hätte.
Nach der Mittagspause hatten wir bei Frau Sakatani noch eine kurze Einführung in die japanische Präsentationstechnik. So muss jeder einen Kurzvortrag über ein Thema seiner Wahl halten, sei es ein Hobby, ein aktuelles Thema und etwas Typisches aus dem Heimatland. Hauptsache man kann darüber einen 3 - 5 Minuten lang reden. Da ich mich als Letzter in die Liste eintrug, muss ich bereits Mitte Oktober als Erster einen solchen Vortrag halten. War ich zunächst noch aufgeregt, sehe ich dem nun bereits ziemlich gelassen entgegen. Schließlich muss man nicht einmal frei reden, sondern nur ein vorformuliertes Skript, das sogar vom Leher eine Woche zuvor abgesegnet wurde, möglichst fehlerfrei ablesen. Über mein Thema bin ich mir noch nicht im Klaren, werde aber vielleicht über Nintendo referieren. Es soll ja schließlich über ein Hobby sein.
Nach dem Schluss des Unterrichts war ich noch in der Bibliothek im Internet. Beim Lesen der netten eMails aus Deutschland, insbesondere der eMail meiner Mutter, habe ich dann feuchte Augen bekommen und möchte darum an dieser Stelle ganz herzlich meine Familie in Deutschland grüßen, insbesondere meine Oma, die alle Blogeinträge ausgedruckt und zugeschickt bekommt. Ohne das herzliche Feedback von Freunden und Familie per eMail, Post oder Kommentar, wäre die Zeit hier in Japan doch recht einsam.
Ich danke euch allen von ganzem Herzen und denke an jeden Einzelnen.
2 Kommentare:
Freut mich, dass du dich trotz nerviger Chinesen und chaotischer Lehrerinnen sehr tapfer schlaegst. Du hast jetzt nur negative Sachen ueber den Unterricht geschrieben; gibts auch irgendwas positives? Lernst du viele Vokabeln oder kannst du die meisten schon? Das Gefuehl fuers freie Reden wird doch bestimmt wesentlich besser, wenn ihr nie englisch benutzen duerft, ne?
Hm, Sandwiches mit Staebchen. Waer lustig gewesen, wenn du das bis zum Ende durchgezogen haettest. Oder mit Donuts. Allein die Vorstellung davon ist schon so richtig schoen skurril :) Was haben denn deine Leidensgenossen gemacht?
Tja, David der Maedchenschwarm ^^ Sies mal als Lob an. Fuer die Japanerinnen ists ja bestimmt nicht leicht sich zu ueberwinden mit Fremden zu reden und wahrscheinlich fanden Sie dich echt sympathisch :)
Oder rennen die echt so radikal jedem hinterher? Da koenntest du n Spiel draus machen. Du schnappst dir irgendeinen deiner Kollegen (keine Ahnung wen du jetzt schon besser kennst) und gehst zu ihnen und fragst sie, ob DU ihnen einen Freund von dir vorstellen duerftest und er haette ja schon so viele Japaner als Freunde usw..
Hoffentlich denkst du nicht, dass ich mich ueber Japan lustig mach (auch wegen der Fahrkartensache). Ich bin nur immer ganz fasziniert von diesen tausend Dinge, die alle so wunderbar anders sind.
Nintendo als Thema find ich Klasse. Da freuen die sich bestimmt drueber. Ist nur die Frage ob man da lange drueber erzaehlen kann. Aber wenns nur fuenf Minuten sein sollen...
Ich glaube die positiven und negativen Sachen werde ich bewerten, nachdem ich jeden Lehrer mal hatte. Dann kann ich mir ein besseres Bild machen. Und Reden wird eigentlich nicht so viel besser, da man ja selbst kaum etwas sagt. Dafür merke ich, dass mein Hörverstehen besser wird.
Ich weiß gar nicht wie die anderen sich mit den Stäbchen angestellt haben. Aber ich denke, dass viele das Essen direkt mit der Hand genommen haben oder, wie ich, mit Stäbchen auf den Teller und dann mit der Hand.
"Oder rennen die echt so radikal jedem hinterher?"
Der Satz trifft es ganz gut. Wenn du nur groß bist, kommen immer ein paar auf dich zu. Werde aber auch bald vom Kommentar einer andere Japanerin berichten, der ich davon erzählt habe...
Und bei Nintendo werde ich wohl einfach ein wenig über die Firmangeschichte erzählen, die Konsolen und bekanntesten Videospielserien vorstellen und vielleicht noch "Nintendo heute" anschneiden. Bis zum Wochenende sollte alles stehen.
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