Samstag, 25. April 2009

Katharina und das Dilemma des letzten Abends

Erst blickte ich zu Katharina, dann zu Dominic und dann wieder zu Katharina. "Ja, also eigentlich..." begann ich, doch Katharina unterbrach mich sofort: "Das ist ein Befehl!". Was wohl als eine schnippische, aber nette Bemerkung gemeint war, klang in meinem Ohren einfach nur unhöflich. "Wenn ich die Pakete alleine zur Post tragen könnte, würde ich es ja machen. Und ich habe bis jetzt auf Lee gewartet, aber sie kommt einfach nicht.". Katharina blickte mich forsch an, gerade zu so als hätte sie ein Anrecht darauf, dass ich ihr helfen müsste. Wieder blickte ich zu Dominic und zuckte mit den Schultern. "Naja, es geht ja wohl nicht anders", sagte Dominic mit finsterem Blick und einer Miene, die verriet, dass er wohl lieber etwas ganz anderes gesagt hätte. "Dann mache ich mich schnell fertig und du kannst in ein paar Minuten hochkommen", sagte Katharina schnell, ohne auch nur eine zustimmende Antwort von mir abzuwarten. Und eben so überraschend wie sie vor wenigen Augenblicken in der Tür gestanden hatte, war sie auch wieder verschwunden. Und mit ihr auch die Hoffnung Dominics letzten Abend in Japan wie geplant zu verbringen.
Knapp eine halbe Stunde später lief ich gemeinsam mit Katharina und einem recht schweren Paket in den Händen durch Soka. Ich war verärgert. Verärgert darüber, dass ich gemeinsam mit Dominic den ganzen Vormittag mit den Reisevorbereitungen verbracht hatte, um einen freien Abend zu haben und nun doch nichts gemeinsam mit ihm unternahm, weil ich Katharina half ihre Pakete zur Post zu tragen. An sich helfe ich gerne, wenn jemand alleine nicht weiterkommt, aber hätte Katharina nicht wenigstens vorher Bescheid geben können? Schließlich kann ihr ja nicht erst vor einer Stunde eingefallen sein, dass sie noch unbedingt zwei Pakete zur Post bringen musste.
"Hier sollte die Post eigentlich sein.", sagte Katharina und blickte sich suchend in der Straße um. "Wie ich bereits sagte", begann ich meinen Satz und versuchte nicht zu vorwurfsvoll zu klingen, "Wir laufen schon seit über einem halben Jahr genau diesen Weg zum Bahnhof. Ich denke es wäre uns aufgefallen, wenn hier eine Postfiliale gewesen wäre.". Und während Katharina noch ein zweites Mal die Straße ablief und ich schulterzuckend hinter ihr her schlurfte, ärgerte ich mich über Katharinas kopflose Planung. Ich hätte wissen sollen, was auf mich zukam, als sie begonnen hatte von einer Postfiliale ganz in der Nähe zu sprechen, die mir bisher aber noch nie aufgefallen war. Nein, eigentlich hätte ich meinen Unmut schon aussprechen müssen, als ich wenige Minuten nach Katarinas Besuch nach oben gegangen war und erst einmal eine Viertelstunde hatte warten müssten, ehe sie bereit war das Haus zu verlassen. Warum hatte sie mich dann schon so früh herbestellt, wenn sie offensichtlich noch so viel mehr Zeit benötigt hatte? Und wo um alles in der Welt war diese Postfiliale, von der Katharina die ganze Zeit sprach? "Vielleicht sollten wir einfach mal in einem Geschäft fragen? Sicher kann uns jemand helfen.", versuchte ich unsere orientierungslose Suche zu beschleunigen. "Ja, eine gute Idee.", sagte Katharina und lief zielstrebig auf den nächsten Laden zu. Kurz davor blieb sie stehen, legte ihr Paket auf den Boden und begann sich in der Gegend umzusehen. "Ich warte hier, bis du fertig bist.", sagte sie knapp und tat so, als hätte sie mit der Suche nach der Postfiliale gar nichts zu tun. Innerlich verdrehte ich die Augen, doch statt einer kritischen Bemerkung atmete ich einmal tief durch, ging in das Geschäft und fragte nach der Postfiliale. "Postfiliale? Hier? Davon weiß ich nichts.", sagte die Frau und so war ich so klug wie zuvor. Als wir zum nächsten Geschäft kamen, stellte ich mich einfach vor den Eingang und sagte ernst "Ich warte hier, bis du gefragt hast." und begann mich scheinbar interessiert in der Gegend umzuschauen. Und so fragte diesmal Katharina nach dem Postamt, verstand die Antwort aber nicht und so musste ich letztlich doch noch einmal selbst nachhaken, um endlich die Wegbeschreibung zu einem Postamt zu erhalten, das aber ein ganzes Stück entfernt zu sein schien.
Als wir im Wohnheim gestartet waren, hatte ich scherzhaft gesagt, dass wir die Pakete tauschen würden, wenn wir die Postfiliale nicht sofort finden würden. Und da wir die Postfiliale tatsächlich nicht sofort fanden, tauschten wir die Pakete dann auch. Ich staunte nicht schlecht, als ich das Paket in Händen hielt, das Katharina bisher getragen hatte, denn es war so leicht, dass ich für einen Moment ernsthaft bezweifelte, dass sich irgendetwas darin befand. "Was hast du denn in deinem Paket?", fragte ich neugierig nach und es hätte mich nicht überrascht, wen die Antwort "vier Packungen Taschentücher" gewesen wäre. "Ach, nur ein paar Plastikfiguren", antwortete Katharina, "Und das andere ist voller Bücher.". "Und das gibt sie natürlich mir zu tragen.", dachte ich mir stumm und fragte mich, warum Katharina die beide Pakete nicht alleine hätten tragen können. Das eine Paket war schließlich so leicht und handlich, dass man es bequem auf das andere Paket hätte legen können, ohne dass sich das zusätzliche Gewicht bemerkbar gemacht hätte. Aber wenigstens hatte sie ohne zu murren die Pakete getauscht, musste ich ihr anrechnen.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis wir irgendwo die kleine Postfiliale fanden, fast zehn Minuten von dem vermuteten Standort entfernt. Als Katharina begann Andeutungen zu machen, dass ich das Paket für die aufgeben solle, verdrückte ich mich schnell. Das konnte sie nun wirklich alleine erledigen. Mittlerweile war es schon später Nachmittag und da Dominic vermutlich keine Lust mehr haben würde in die Kälte hinaus zu gehen, lief ich auf dem Rückweg schnell an einem Supermarkt vorbei und kaufte vorsorglich Proviant und Getränke für die morgige Fahrt zum Flughafen und Dominics Rückflug. Als ich dann endlich ins Wohnheim zurückkehrte, war es bereits dunkel und ein Großteil des geplanten gemeinsamen Abends war bereits vorüber. "War Lee hier?", fragte ich Dominic, der auf dem Bett saß und mit seinem Nintendo DS spielte. Er schüttelte den Kopf und deutete auf den Schlüssel, der noch unverändert auf dem Küchentisch lag. Ja, da lag er noch, der Schlüssel, der alles ins Rollen gebracht hatte. Denn obwohl Lee mittlerweile schon längst wieder aus den U.S.A. hätte zurückkehren sollen, hatte niemand ein Wort von ihr gehört. Und da keiner so recht wusste, wann sie nun ankommen würde, musste selbstverständlich immer jemand da sein, gesetzt den Fall, dass sie heimkehren und vor einer verschlossenen Wohnungstür stehen würde. Diese ganze missliche Situation hatte von Anfang an verhindert, dass Dominic einfach mitgelaufen wäre und der Besuch der Postfiliale und des Supermarktes einfach zu einem Bestandteil des letzten Abends geworden wären, schließlich hatten wir ohnehin eine Spaziergang geplant.
Ich war noch keine zehn Minuten in der Wohnung, da klopfte es an die Tür und Katharina stand wieder da. Diesmal wollte sie ihre Tasche in meiner Wohnung unterstellen, während sie für die nächsten Tage nach Kyoto reisen würde. "Und wann holst du sie wieder ab?", fragte ich nach, um ein mögliches Chaos zu verhindern. "Am Freitagabend. Oder am Samstag. Mal schauen.", lachte sie, doch zum Lachen war mi nicht zu Mute. "Mir wäre es lieber, wenn ich es jetzt schon wüsste, damit ich mich darauf einstellen könnte.", beharrte ich doch Katharina wand sich wie eine Schlange aus der Verantwortung ein konkretes Datum zu geben. Also klammerte ich mich an den letzten Strohhalm, der mir geblieben war: "Dann schick mir rechtzeitig eine E-Mail, damit ich dann auch sicher da bin, okay?". Mehr als die Hoffnung, dass sie es auch machen würde, blieb mir nicht. Als sie wieder nach oben gehen wollte, wollte ich ihr den Schlüssel für Lee wieder geben, doch sie lehnte ab: "Ich bin morgen nicht da. Lass also den Schlüssel hier, falls Lee kommen sollte.". "Ich bin aber morgen auch nicht da, ich bringe Dominic zum Flughafen. Du musst dir also jemand anderen suchen, der auf euren Wohnungsschlüssel aufpasst." erwidert ich und wollte ihr den Schlüssel geben, doch sie nahm ihn nicht an und lächelte nur: "Ja, da fällt dir sicher jemand ein. Ich bin jetzt erstmal beschäftigt.". Und mit diesen Worten verschwand sie durch die Tür und ich stand mit ihrem Wohnungsschlüssel alleine im Raum.
Es dauerte nicht lange und es klopfte wieder an die Tür. Mittlerweile war es schon fast acht Uhr und sowohl ich, als auch Dominic ärgerten sich, dass wir so gar nicht dazu kamen irgendetwas zu machen. Einmal mehr stand Katharina vor der Tür, diesmal mit ihrer Tasche. Nachdem sie diese im Abstellraum deponiert hatte, stand sie in der Tür und begann zu reden. Aber reden wollte ich nicht, schließlich war es schon spät genug. "Naja, ich muss jetzt auch Abendessen machen.", bat ich sie höflich zu gehen, doch Katharina blickte nur neugierig zum Herd und fragte forsch nach, was es denn gäbe. "Das entscheiden wir später. Zu zweit.", sagte Dominic, der mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Raumes stand und sich schon seit Stunden darüber aufregte, dass Katharina seinen letzten Abend in Japan so gekonnt sabotierte. Doch auch diesen Wink verstand Katharina nicht und so trottete Dominic kopfschüttelnd zurück in mein Zimmer und spielte wieder Nintendo DS. Alleine. Es dauerte schließlich mehr als eine Viertelstunde, bis ich Katharina endlich dazu bewegen konnte zu gehen und ich mich tatsächlich dem Abendessen widmen konnte.
Hatte ich eigentlich etwas Aufwendiges für Dominics Abschied geplant, kochte ich stattdessen nur einen Topf Fertigspaghetti, den wir aßen, während wir vor dem Einschlafen noch einen Film schauten. Und das war dann Dominics letzter Abend in Japan: Stundenlanges Warten, ein Topf Spaghetti und ein Film. Darum konnte ich ihm auch nicht übel nehmen, dass er ein wenig geknickt war, ich ärgerte mich schließlich auch. Als unser Film dann vorbei war, schliefen wir fast augenblicklich ein, schließlich war es schon spät und uns stand ein anstrengender Tag bevor. Und als ich einschlief hatte ich vollkommen vergessen, dass auf dem Küchentisch noch immer der Schlüssel von Lee lag.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Boah, das ist ja alles eine riesengroße Unverschämtheit! Sowas dreistes habe ich noch nie erlebt.
Da wird man ja schon allein beim Lesen sinksauer.

David Kraft hat gesagt…

Das fasse ich als Kompliment für meinen realistischen Schreibstil auf : )
Und du hast recht: Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, bin ich heute noch verärgert.