Dienstag, 23. Juni 2009

Rollenspiele

Wir Menschen sind Schauspieler und die Welt ist unsere Bühne. Und je besser man schauspielert und sich seiner Rolle fügt, desto mehr kann man erreichen.
Das sagen nicht nur irgendwelche schlauen Soziologen und Theaterwissenschaftler, das ist eine Erkenntnis, zu der jeder von uns gelangen kann, wenn er nur aufmerksam genug beobachtet. Täglich schlüpft jeder von uns in dutzende von Rollen und präsentiert eine mehr oder weniger gelungene schauspielerische Leistung, anhand derer er von anderen bewertet wird. Mal spielt man einen Freund, mal einen Schüler, mal einen Fahrgast und manchmal auch einen Liebhaber. Egal wem man begegnet, wen man trifft, immer wird man in eine Rolle gedrängt und muss dementsprechend schauspielern. Man verhält sich anders, wenn man eine Präsentation halten soll, als wenn man man in einem Bewerbungsgespräch sitzt. Man agiert anders wenn man als Angestellter in einem Supermarkt arbeitet, als wenn man auf einer Party mit jemand unbekanntem flirtet. Und wer in seiner Rolle überzeugt hat Erfolg.
Wie gerne rege ich mich beispielsweise über einige meiner Sprachlehrer auf. Der Grund? Sie überzeugen nicht in ihrer Rolle als Lehrer. Sie erklären den Lernstoff unverständlich, haben keinen Spass am Lehren und wissen manchmal selbst nicht weiter. Es ist schwer jemandem Respekt zu zollen, der unglaubwürdig wirkt. Würden wir uns gerne von einem Arzt behandeln lassen, der sich seiner Rolle als Arzt nicht anpasst? Jemand der sich nicht für ein Medikament entscheiden kann und uns mit zittriger Hand ein Präparat in die Hand drückt, der uns ins Gesicht sagt, dass er uns keine Diagnose stellen kann? Kaufen wir nicht lieber bei Servicepersonal ein, bei dem wir das Gefühl haben, dass sie den Kunden respektieren, als bei jenen, die uns das Gefühl geben, dass sie über uns stehen? Und lassen wir uns nicht eher von jenen Menschen überzeugen, die selbstsicher und flüssig ihre Meinungen vortragen, als von jenen, die vor sich hin stammeln und den Eindruck machen selbst nicht von dem überzeugt zu sein, was sie uns erzählen? Unser schauspielerisches Talent ist der Schlüssel zum Erfolg, weshalb man fast nichts besseres machen kann, als sich zu verstellen und in andere Rollen zu schlüpfen. Und je überzeugender man darin wirkt andere Denkweisen und Verhaltensweisen zu adaptieren, um so gewappneter ist man für das alltägliche, menschliche Miteinander.
Am Sonntag, Tag 261 in Japan, habe ich darum den Abend damit verbracht mit einer Freundin übers Internet Rollenspiele zu spielen. Sie, als angehende Psychologin, schlüpfte in die Rolle der Therapeutin, während ich mir Patienten mit psychischen Störungen ausdachte und zum Besten gab. Und je mehr wir uns beide ins Zeug legten und uns in unsere Rollen einfanden, um so größer war der Nutzen für uns beide. Ich konnte meiner Freundin sagen wie überzeugend ich sie in ihrer Rolle als ernstzunehmende Therapeutin fand, zu welchen Zeitpunkten ich mich als Patient angegriffen oder missverstanden gefühlt hätte, wohingegen ich ihr mehr Freiraum zu einer umfassenden Analyse meiner Psyche bot, je besser und überzeugender ich mich in der Rolle des Patienten einfand. Und so schauspielerte ich an diesem Abend was das Zeug hielt: Mal war ich eine menschenscheue Apothekerin mit Minderwertigkeitskomplex, dann wieder ein aufdringlicher, ungeduldiger Student, der am Leistungsdruck und Konkurrenzdenken zerbrach. Je breiter mein Spektrum an Rollen und schauspielerischen Leistungen, desto größer war für meine Freundin die Herausforderung sich immer wieder auf neue Charaktere einzulassen und ihr eigenes Schauspiel immer wieder von neuem anzupassen. Über zwei Stunden verbrachten wir so den Abend und mussten am Ende an einige Gespräch herzlich lachen über die ausgefallenen und doch überzeugenden schauspielerischen Leistungen, die wir erbracht hatten.
Aber wo ist bei all dem Schauspiel das Ich? Eine schwere Frage, auf die nicht einmal die Gesellschaftswissenschaften eine einheitliche Antwort haben. Einige gehen sogar so weit zu sagen, dass es gar kein Ich gibt, weil wir in jeder Interaktion mit anderen eine Rolle einnehmen und schauspielern, selbst gegenüber unseren engsten Familienmitgliedern, unseren besten Freunden und unserem Beziehungs- oder Ehepartner. Ja sogar uns selbst spielen wir etwas vor. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass hinter all dem Schauspiel ein Ich steht, das wir in unser Schauspiel einfließen lassen, das uns als Individuum bestimmt und von anderen abhebt. Wir wir herausfinden was an uns echt ist und was nur Schauspiel? Nun, indem wir uns einmal selbst beobachten und fragen, was bleibt, wenn wir all jene Dinge abstreifen, die wir uns selbst vorspielen, wenn niemand anderes da ist. Und ja, damit sind wir wieder an jenem Punkt angelangt, über den ich schon einmal geschrieben habe ("Von Prinzipien, Bürden und der Suche nach sich selbst").
Gleichzeitig man selbst sein und sich schauspielend in eine Rolle einfügen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg in jeder Hinsicht. Aber das heißt nicht perfekt zu sein, nicht mechanisch nach einem unsichtbaren Skript zu handeln. Vielmehr heißt es zu überzeugen in dem, was man macht. Und manchmal heißt das auch Schwächen zu zeigen, verletzlich zu sein. Denn wir schätzen Freunde und Partner nicht, weil sie perfekt sind, weil sie auf alles eine Antwort wissen, weil sie uns mit ihrem Wissen ausstechen können. Die Rolle eines guten Freundes und Partners erfüllt man, wenn man angreifbar und verletzlich wird, wenn man Seiten von sich zeigt, die man sonst in keiner anderen Rolle präsentiert. Zu schauspielern heißt nicht sich selbst etwas vorzumachen, einem moralischen Ideal folgen, nein, es heißt einfach nur eine Rolle authentisch mit Leben zu füllen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

4 Kommentare:

michi hat gesagt…

Das ist ein sehr schoener Artikel und sehr interessanter Gedankengang.
Was mir dazu einfaellt: Ist es denn ueberhaupt noch bedeutsam, ob es sowas wie ein Ich gibt? Wenn man ohnehin immer, gegenueber jedem eine Rolle spielt (ich behaupte sogar gegenueber sich selbst, denn man sieht sich selbst sicherlich auch verzerrt und spielt gegenueber sich selbst die Rolle, die zum Selbstbild passt), dann gibt es kein Leben ohne Rolle und die Frage nach einem nackten Ich ohne Rolle ist ueberfluessig.
(Genauso wie die Frage, ob es einen Gott gibt, wenn man Agnostiker ist.)

So, jetzt bin ich auch gleich wieder auf dem "aktuellen" Stand ;)

Hast du eigentlich im Laden schon was kleines silbernes nintendodeessiges erstehen koennen? :)

David Kraft hat gesagt…

Erst einmal Danke für das Lob. Das hört man doch gerne.
Und deine Frage ist berechtigt. Denn es gibt viele Gesellschaftswissenschaftler, die der Auffassung sind, dass Menschen sich nur durch Beziehungen zu anderen, in diesem Fall also Rollen, bestimmen, die sie einnehmen. Und wenn man alle Rollen wegnimmt, dann bliebe ja nichts übrig. Ganz wie ein Wald, wenn man alle Bäume wegnehmen würde. Und ich glaube analog dazu wohl auch dein Beispiel zu Glauben: Wenn es keine Gläubigen gibt, gibt es auch keinen Gott.

Aber wie bei so vielen Dingen gibt es natürlich auch die andere Seite, die sagt, dass es auch ein Ich gibt, abseits der Beziehungen zu anderen. Zwar bildet man sich seine Persönlichkeit durch Interaktionen und Kommunikation mit anderen, aber letztlich bastelt man sich etwas Eigenes zusammen, ein ich, eine Individualität. Du bist also dein eigener Schöpfer, bestimmst selbst wer du bist. Und wenn du nach diesem Prozess alle anderen wegnimmst, nun, dann bleibt das zurück, was du dir im Laufe deines Lebens zusammengesucht (also "erschaffen") hast.

Nun dringen wir aber schon ziemlich tief in die Gefilde der Soziologie, Philosophie und vielleicht auch Psychologie ein und da kenne ich mich nicht so wirklich gut aus. Aber das ist doch eine der Sachen, die man den Geisteswissenschaften zu Gute halten kann: Jeder kann sich eine eigene Meinung bilden und es gibt fast nie ein eindeutiges Ja oder Nein. Es kommt nur darauf an wie du argumentierst.

Aber man muss es ja nicht gleich alles auf Bestehendes aufbauen. Ich habe ja auch keine allgemeingültige, wissenschaftliche Theorie niedergeschrieben, sondern mir selbst ein kleines Weltbild aufgebaut, mit dem ich mir selbst die Welt und das Ich erkläre. Ich bin mir sicher, dass sich jeder hier zu den gleichen Themen Gedanken macht, nur niederschreiben tuen es eben die Wenigsten.

Und ja, ich habe schon etwas nintendodeessiges gekauft, Aber es ist schwarz-schimmernd.

michi hat gesagt…

"...und da kenne ich mich nicht so wirklich gut aus." Ich glaube die Meinungen von Wissenschaftlern, die meinen sich in der Thematik auszukennen, haben genauso wenig oder genauso viel Recht zum Anspruch auf allgemeine und absolute Korrektheit wie deine Meinung. Ich glaube man kann sich da nicht gut oder schlecht auskennen, solange man einen "gesunden Menschenverstand" hat (wenn es ihn denn gibt).
Ist das Ich, das man in seinem Leben aufbaut, nicht auch genau die Rolle, die ich meinte, die man vor sich selbst spielt? Dann muesste man sie beim Wegnehmen der Rollen auch wegnehmen und dann bliebe nichts mehr.

Uhhhhh ... wie cool ... ein DS:) Du bist mein Held, meine Woche ist gerettet.

David Kraft hat gesagt…

Es sind Fragen wie diese, für die man sich eigentlich einmal treffen und einen Abend lang Meinungen austauschen müsste. Denn wie du sagst: Man muss kein Fachmann sein, um über solche Gedanken zu sprechen. Und wenn sich jeder ein wenig Gedanken macht, würde es sicher amüsant sein in einer kleinen Runde gemeinsam zu philosophieren.

Und einfach mal so:
Danke für dein Interesse. : )