Sonntag, 7. Juni 2009

Annyeong

Es ist schon einige Wochen her, dass ich Kwon kennenlernte. Auf dem allmorgendlichen Weg zur Universität stellte mir Lee den Koreaner vor, der im höchsten Sprachkurs war. Wir unterhielten uns ein wenig auf Japanisch, als wir in Richtung des Unterrichts liefen, doch wirklich kennenlernen taten wir uns nicht. Es war eher ein oberflächliches Floskeln austauschen. Und so trennten sich unsere Wege als wir die Dokkyo-Universität erreichten, ohne dass mir irgendetwas Nennenswertes von unserer Begegnung in Erinnerung geblieben wäre.
Seit diesem ersten Treffen traf ich Kwon immer häufiger auf dem Weg zur Uni. Irgendwie schienen wir den gleichen Rhythmus zu haben, wenn wir morgens zum Unterricht liefen, und so kam es, dass ich mehrmals die Woche gemeinsam mit ihm die zehn Minuten bis zum Campus bestritt. Wir hatten nie große Gespräche, keine weltbewegenden Themen, keine tiefschürfenden Unterhaltungen, einfach nur ein wenig freundliches Austauschen, während wir im Sonnenschein in Richtung Dokkyo-Universität liefen. Man sprach über das Wetter, über den anstehenden Unterricht, darüber dass man mal wieder eine Präsentation oder einen Test hatte, dass die Lehrer mal wieder ungenießbar waren, es am Vortag gewittert hatte oder es nach Regen aussah. Smalltalk eben. Versuchten wir anfangs noch auf Japanisch zu sprechen, schwenkten wir schon bald auf Englisch mit gelegentlichen Einschüben auf Japanisch um, der Kommunikation wegen.
Ich weiß nicht wirklich viel über Kwon, er auch nicht über mich. Trotzdem verstehen wir uns ganz gut während unserer gelegentlichen zehn Minuten. Als Freund würde ich ihn nicht bezeichnen, vielleicht nicht einmal wirklich als Bekannten. Er ist vielmehr eine von jenen Personen am Rande unseres Lebens, denen wir viel zu selten Respekt zollen. Eine jener Personen, die unbemerkt unseren Horizont weiten, uns ein Lächeln auf die Lippen zaubern und auf ihre ganz eigene Weise unser Leben beeinflussen. Nur zu oft tendiert man dazu solche Personen aus seiner Sicht zu verlieren, zu vergessen wie auch sie an unserem Leben teilnehmen, wie sie es bereichern. Nicht jeder spielt eine Hauptrolle auf der Bühne unseres Lebens, viele nicht einmal eine Nebenrolle; dennoch gibt es unzählige Statisten, die das Stück bereichern, die Zwischenräume mit Leben füllen und hinter der Bühne agieren. Wenn man sich einen Moment Zeit nimmt, fallen einem sicher unzählige Personen oder auch nur Gesichter ein.
Ich begegne hier in Japan so vielen Personen, die nicht über den Rang des Statisten hinauswachsen, nicht ihren Platz in meinem Artikeln gefunden haben. Sei es die junge Kassiererin aus dem Supermarkt um die Ecke, die mich bereits kennt und bei jedem Besuch mit einem Lächeln grüßt, der junge Brite aus dem Wohnheim, dem ich so oft über den Weg laufe, wir aber nie mehr Worte wechseln als kurze Begrüßungen, die junge Mitarbeiterin im International Center, die ich manchmal auch auf der Straße treffe und grüße, der hochgewachsene Afrikaner, der mich beim Besuch des Gottesdienstes freudig begrüßte und sich noch erinnerte, dass ich bereits zu Weihnachten anwesend war, oder die schüchterne thailändische Freundin von Lee, die uns einige Male zum Supermarkt begleitet hat. All diese Personen bereichern mein Leben auf ihre ganz eigene Weise und ohne sie würde es hier um einiges einsamer und trister sein. Darum möchte ich all diesen Statisten auf der Bühne meines Lebens diesen Beitrag widmen, die sonst in keinem Artikel, in keiner Erzählung über Japan, in keiner lustigen Anekdote Platz finden.
Heute bin ich übrigens wieder mit Kwon zur Universität gelaufen. Wie immer haben wir uns über kleine Dinge unterhalten, über das Wetter, den Unterricht und ein wenig über unsere Länder. Und so habe ich mir von ihm mein erstes Wort auf Koreanisch beibringen lassen: Annyeong (Hallo). Es ist nur ein kleines unbedeutendes Wort, das ich wahrscheinlich fast nie gebrauchen werde, aber es wird mich wohl immer Kwon, den Koreaner erinnern, mit dem ich damals in Japan manchmal zur Universität gelaufen bin. Ich weiß nicht wer er war, was er gemacht hat, aber er hat an meinem Leben teilgenommen und es verändert. Wenn auch nur mit einem einzigen Wort.

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