Wer kennt es nicht, das Gefühl auf der Stelle zu treten. Vor allem wenn man Student oder Auszubildender ist und das Leben nur daraus zu bestehen scheint zu lernen, fragt man sich oft, ob man in dem, was man studiert, überhaupt noch vorwärts kommt. Jeder, der wie ich schon einmal eine Sprache gelernt hat, kennt es: Die ersten Fortschritte sind schnell gemacht, man kann fast wöchentlich sehen, wie man sich verbessert und hat seinen Erfolg stets vor Augen. Doch nach und nach fällt einem auf, dass man den Überblick verliert, dass man in einem Meer aus Wörtern und Regeln schwimmt, zwischen denen man droht unterzugehen. Das Vorwärtskommen wird immer stockender, es wird immer mühsamer die Sprachleiter nach oben zu klettern und alles was man sieht, ist eine Sprosse nach der anderen, an der man sich mühevoll nach oben zieht, ohne das Gefühl zu haben irgendwo anzukommen. Und irgendwann erreicht man den Punkt, an dem man nur noch die Hand nach Wissen ausstreckt und verzweifelt greift und doch nichts begreift. Für jedes Wort, das man neu lernt, scheint irgendwo ein Altes verloren zu gehen. Man hat nicht mehr das Gefühl Neues anzuhäufen sondern nur halbwegs das Bedürfnis beisammenzuhalten, was man mit sich trägt. Und so lernt man und lernt, um voran zu kommen, und fühlt sich letztlich doch, als würde man auf der Stelle treten.
Doch oft kommt man voran. Man merkt es nur nicht. Insbesondere Sprachen sind ein Fass ohne Boden, aus dem man ständig schöpfen kann, ohne dass der Inhalt je erschöpft wäre. Das Problem liegt daran, dass wir gewohnt sind den Augenmerk auf das zu legen, was wir nicht haben, statt zu Abwechslung den Fokus einmal auf das zu legen, was wir bereits erreicht haben. Und bei solch endlosen Unterfangen wie dem Erlernen einer Sprache wird man immer einen Berg von Wörtern vor sich sehen, die man noch nicht kennt. Und das ist nicht nur so bei Fremdsprachen, nein, man muss sich nur einmal ein Fachbuch, ein Buch aus dem Antiquariat oder gar ein Tagebuch schnappen, das in wüster Jugendsprache verfasst ist, um zu begreifen welche Lücken man sogar in seiner eigenen Muttersprache vorweist. Das große Problem bei einer Sprache ist, dass man nur schwer messen kann, welche Fortschritte man macht. Als Marathonläufer kann man die Zeit stoppen, als Videospieler kann man seine Höchstpunktzahl übertreffen und als Unternehmer die Gewinne steigern, aber als Sprachschüler bleibt einem nichts übrig als sich einzureden, dass man irgendwie besser geworden ist, denn niemand käme auf die Idee sich hinzusetzen und jeden Monat alle Wörter aufzuzählen, die er aktiv beherrscht, oder sich gar einen Tag mit einem Duden zu beschäftigen und die Wörter zu zählen, die man beim Lesen mit einer Bedeutung verbinden kann, um sich eine eigene Lernkurve zu zeichnen. Das ist einer der Gründe weshalb das Lernen einer Sprache äußerst frustrierend sein kann.
Doch glücklicherweise gibt es immer Momente, in denen man sich selbst auf die Schulter klopfen kann und visuell vor sich hat, was man erreicht hat. Beispielsweise heute, als wir im Unterricht unser bisheriges Lehrbuch abschlossen und uns neuen Lernmaterialien widmeten. Es war jener magische Moment, in dem ich die letzte Seite des alten Buches zuschlug, als ich einige Augenblicke lang die mehr als zweihundert gebundenen Seiten voller Grammatik und Vokabular vor mir auf dem Tisch liegen hatte, die ich mir in den letzten Wochen angeeignet hatte. Es war ein langer und anstrengender Weg gewesen und ich hatte nicht alles mitgenommen, einiges unterwegs verloren, aber im Großen und Ganzen war es doch ein beträchtlicher Berg an Wissen, der dort vor mir lag. Und als ich das neue Buch aufschlug, dachte ich nicht daran welche Fluten von neuem Vokabular auf mich einströmen werden, ich dachte daran wie glücklich und stolz ich auf das Buch zurückblicken werde, wenn es in wenigen Wochen durchgearbeitet auf meinem Tisch liege würde.
Vielleicht sollte man sich an diesen kleinen Dingen ein Beispiel nehmen und ein wenig zuversichtlicher und zufriedener mit jenen Sachen sein, die man erreicht hat, als sich immer nur nach jenen Dingen zu sehnen, die man noch nicht hat. Es ist nicht falsch sich Ziele zu setzen, Träume zu haben, Ideale anzustreben und ich möchte niemanden dazu auffordern selbstgefällig zu prahlen, aber vielleicht sollte jeder von uns auch einmal einen Blick zurück werfen, während wie vorwärts gehen. Einfach einmal sehen welchen Weg wir bereits gekommen sind, welche Berge wir bereits erklommen und welche Meere wir durchschwommen haben. Es ist nicht falsch auch einmal auf sich selbst stolz zu sein, sich selbst für seine eigenen Leistungen auf die Schulter zu klopfen. Denn nur so wird der Weg ins Ungewisse, den jeder von uns beschreitet, nicht zu einem endlosen Kampf, einer ewigen Hetzjagd, sondern zu einer Reise, die wir genießen können.
7 Kommentare:
Also wenn ich zurückblicke, blicke ich auf meine 20 gefüllten Ordner in meinem Regal, wovon jeder Ordner mein Wissen für eine zurückliegende Prüfung enthält. Da wird einem schon bewusst, welche Massen man schon gelernt hat. Aber es ist auch frustrierend wenn man bedenkt, was man schon mal alles gewusst und wieder vergessen hat :-(.
Ich glaube das ist eines der großen Probleme in unserem Bildungssystem: Man lernt so viele Dinge, die man fast nie gebrauchen kann und einfach wieder vergisst. Und dann fühlt man sich ewig schlecht deswegen. In einem Buch habe ich gelesen, dass dies eine der seelischen Lasten ist, die so viele Menschen mit sich herumtragen, du bist also nicht die einzige Person, die sich so fühlt. Aber so lange du noch merkst, dass du nicht auf der Stelle trittst und vorankommst, ist es doch in Ordnung Unnützes zu vergessen.
Und selbst wenn man es wieder einmal brauchen sollte: Was man einmal gelernt hat, kann man sich ganz schnell wieder neu aneignen. Immerhin ein kleiner Trost. : )
Dietrich Schwanitz hat dieses Meta-Problem am Ende seines Buches "Bildung" erwähnt, und ich glaube er sagt Dinge wie "Gebildet sind auch die, die vergessen haben, was sie wussten." Oder wozu nützt es sonst sagen zu können, man hätte Huxley oder Schiller gelesen, wenn man sich nicht mal an die Handlung erinnert?
Aber David es stimmt, die große Aufgabe ist es, das Wissen zu erhalten, nicht zu erwerben. Oder "selbst wer auf dem richtigen Weg ist, kommt nicht voran, wenn er nicht weitergeht."
Zum Sprachenlernen, ich habe einen ganz einfachen Test entwickelt: statt Duden durchgehen gehe ich alte Vokabelhefte durch. Lernerfolg ist, wenn ich mich frage, warum ich dieses Wort aufgeschrieben habe, wo ich es doch kenne?? :-)
Interessantes Thema... fs. folgt..
"Selbst wer auf dem richtigen Weg ist, kommt nicht voran, wenn er nicht weitergeht."
Ein schönes Zitat, das ich mir merken werde.
Und ja, man muss sich irgendwie immer vor Augen halten, was man erreicht hat. Ich habe erst letztens so einen elektronischen Vokabeltrainer ausgeliehen und eine Lektion bearbeitet, zu der ich während der vorlesungsfreien Zeit ein Lernbuch durchgearbeitet habe. Damals habe ich furchtbar mit dem Buch gekämpft und war mir sicher, dass ich alles wieder vergessen hätte, doch beim Test auf dem elektronischen Wörterbuch, habe ich mit Leichtigkeit um die 95% erreicht und habe mich ernsthaft gefragt, wie ich vor einem halben Jahr noch solche Schwierigkeiten haben konnte. Jetzt sitze ich übrigens an der nächsten Lektion und denke mir wieder einmal: Ich kenne die Schriftzeichen nicht und beherrsche weder Bedeutung noch Lesung. Aber sicher werde ich irgendwann auch hier zurückblicken und nur den Kopf über all diese selbstverständlichen Worte und Ausdrücke schütteln.
Und ja, ein interessantes Thema.
Ich bin auf jede Fortsetzung gespannt. Egal von wem für wen. : )
Wir kriegen im Studium immer erzaehlt: "90% des Stoffes, den Sie lernen, werden Sie vermutlich nie brauchen. Sie lernen nur, um Lernen zu lernen und Problemlösen zu lernen."
Das finde ich wirklich unmotivierend. Lernen oder Problemlösen ist so abstrakt, dass man nie wirklich einschätzen kann, ob man darin jetzt wirklich besser geworden ist. Irgendwie ist es so wirklichkeitsfern und ich frage mich, was das alles soll.
Aber dann schaue ich auf meine Freunde und sehe angehende Tierärzte oder Lehrer oder Leute die eine Sprache schon super können, die ich wohl nie so gut können werde ;) Und wenn ich zumindest kein bisschen stolz auf mich selbst bin, bin ich doch sehr stolz auf sie.
Vlt. ist es immer leichter Voranschreiten als Aussenstehender zu sehen. Wenn man sich selbst beobachtet, sieht man nur jeden Tag einen neuen Schritt. Wenn man aussen steht, schaut man nicht jeden Tag hin und sieht dann nach einer Weile, dass der Freund schon ein ganzes Stueck Weg zurueckgelegt hat.
Ich glaube da hast du recht Michi, man sieht die Fortschritte immer nur bei anderen, fast nie bei sich selbst. Ich war immer der Auffassung, dass alle um mich herum viel mehr lernen und viel mehr arbeiten, als ich. Aber vermutlich denkt das jeder von sich.
Danke sehr an den Webmaster.
Gruss Elena
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