Freitag, 19. Juni 2009

Mehr als nur ein Dialog

Lehrbücher können machmal etwas seltsam sein. Aber sie dienen schließlich nur dem Erlernen der Sprache, maßgeblich dem Ausbau der Grammatik und des Vokabulars, da drückt man auch gerne einmal ein Auge zu, wenn der Inhalt der zu bearbeitenden Texte und Dialoge nicht sehr überzeugend ist. Dennoch arbeiten sich die Lehrer Lektion für Lektion durch mehr oder weniger durchdachten Texte und Dialoge, ohne auch nur einmal eine eigene Meinung zu den Lehrmaterialien abzugeben. Der Zweck heiligt die Mittel, denn warum sollte man sich über den Inhalt des Lehrbuches aufregen, solange die geforderte Grammatik und das notwendige Vokabular behandelt werden. Es macht keinen Unterschied, ob man über Topfpflanzen mit langen Wurzeln, die technischen Bestandteile von Robotern, die chemischen Vorgänge bei der Sauerstoffübertragung im Blut oder den Weltrekord des Milch-aus-den-Augen-Spritzens redet, denn letztlich lernt man nur das Vokabular und die Grammatik für den wöchentlichen Kurztest und ignoriert jegliche Art von inhaltlicher Kritik. Insbesondere unsere Sprachlehrer scheinen äußerst trainiert darin zu sein den Lernstoff abzuarbeiten, ohne auch nur ein einziges Wort über ihre eigene Meinung gegenüber dem Inhalt zu verlieren. Zumindest war es bisher so, denn heute brach Frau Hara das Eis und machte sich das erste Mal über das Lehrbuch lustig.
Frau Hara, das war die junge Sprachlehrerin, die auf mich eher den Eindruck einer Referendarin, als einer ausgebildeten Sprachlehrerin machte, zumindest äußerlich ("Dokkyo-Reprise"). Bisher war sie nie auffällig aus der Masse der Sprachlehrer hervorgetreten: Sie war weder sonderlich streng, klebte nicht übertrieben am Lehrbuch, hatte keine nervigen Angewohnheiten, führte ohne Fehler und in angemessener Motivation durch den Unterricht und hatte sich nie in irgendwelche peinlichen Situation manövriert. Sie war einfach nur die nette Lehrerin vom Montagmorgen, die jeder ganz nett fand. Und darum überraschte es mich auch ein wenig, als sie heute beim Vorlesen der Dialoge aus dem Lehrbuch unerwartet begann zu lachen.
"Das ist so ein unsinniger Dialog. Niemand würde das je so sagen."
Sie ließ sich nicht sehr viel mehr über das Lehrbuch aus, aber es war diese kurze Bemerkung und ihr unterschwelliges Kichern, während des Lesens der restlichen Dialoge, die mir das erste Mal bewusst werden ließen, dass ich nicht ohne Grund den Kopf schüttelte, wenn wir wieder einmal einen weniger schlüssigen Dialog lasen.
Zum Ende der Stunde mussten wir in Gruppenarbeit einen gemeinsamen Dialog nach Vorgaben des Lehrbuchs erstellen. Wir sollten jemanden trösten, dessen Haustier verstorben war und Frau Hara schüttelte bereits resigniert den Kopf, als sie uns die Papiere zum Aufschreiben unserer kreativen Ergüsse austeilte. Da ich mit Paul und Marvin, den beiden anderen Deutschen, in einer Gruppe war und wir um Frau Haras Missbilligung des Lehrbuches wussten, erstellten wir bewusst einen vollkommen ironischen Dialog über das tragische Ende des Kanarienvogels Piepi, den wir mit übertriebener Theatralik und massig Seufzern und künstlichen Tränen vortrugen. Der Kurs, Frau Hara und nicht zuletzt wir hatten helle Freude an unserem Schauspiel und die geforderten Formulierungen und Wörter lernten wir ebenfalls. Und so genossen wir für den Moment die stille Kritik an unserem Lehrbuch und seinem stellenweise fragwürdigen Inhalt.
Immer wenn man nach den Mittagessen die Mensa der Universität verlässt, muss man durch eine wahre Allee von Studenten, die mit Zettel für alle nur erdenklichen Aktivitäten werben. Für gewöhnlich winke ich ab und lasse im Sekundentakt "Nein, danke." aus mir heraussprudeln, doch heute kam ein ganz hartnäckiger Japaner auf mich zu und war überzeugt mich als neues Mitglied für seinen Sportclub anzuwerben. Bekleidet mit einem engen Muskelshirt, das sich über seinen durchtrainierten Körper spannte und jeden einzelnen Muskel seines Oberkörpers betonte, baute er sich vor mir auf.
"Du siehst aus als würdest du gerne Football spielen."
"Sehe ich so aus?"
"Du würdest dich gut in unserem Team machen. Komm einfach mal zum Training vorbei."
Ich war nicht sonderlich sportlich und schon gar nicht interessiert an Football. Und so versuchte ich mich irgendwie aus der Konversation herauszuwinden. An sich hätte ich nichts gegen ein wenig Bewegung, doch ausgerechnet Football?
"Ach, ich bin nicht so sportlich."
"Trainier regelmäßig mit uns und das dürfte kein Problem mehr sein." 
"Nun, ich bin zur Zeit ziemlich beschäftigt mit Lernen. Ich glaube das wird nichts."
"Du lernst Japanisch? Fein, wir können während des Trainings auf Japanisch reden, dann übst du nebenbei noch ein wenig."
Er war gut darin jedes meiner Argumente so zu verdrehen, dass es sich gegen mich selbst richtete. Und wenn er mich nicht gerade für Football angeworben hätte, wäre ich wohl auf sein Angebot eingegangen. Einfach aus dem Grund, weil mir die Gegenargumente ausgingen.
"Ich werde drüber nachdenken, okay?"
"Wenn ich dich morgen sehe, rede ich dich wieder an."
Ich lächelte ein wenig schief und wollte irgendwo in der Menschenmenge untertauchen, da drückte er mir noch einmal fest die Hand.
"Takagi. Ich heiße Takagi. Und du?"
"David."
Soviel wusste ich über Anwerbe- und Verkaufsstrategien: Wenn man erst einmal eine persönliche Bindung aufgebaut hatte, wurde es immer schwerer für den Angeworbenen abzusagen. Und so fühlte ich mich schon fast in der Verpflichtung zuzusagen, konnte mich aber irgendwie noch aus dem Gespräch winden und lief schnurstracks ins nächste Gebäude. Takagi war ganz nett gewesen, aber doch war unser Dialog ein Paradebeispiel für kommunikative Kriegsführung gewesen. Und ich hatte haushoch verloren.

1 Kommentar:

michi hat gesagt…

ehrlich gesagt haett ich das toll gefunden, dich auf einmal als mitspieler in nem football team zu wissen :)