Wäre ich Lehrer für unseren Sprachkurs, ich hätte auch keine Lust uns zu lehren. Der Großteil des Kurses hängt gelangweilt herum, ein Student demotivierter als der Nächste, und kaum jemand zeigt auch nur das geringste Interesse am Unterrichtsverlauf. Auf die Nachfrage, ob etwas verständlich war, erhält man größtenteils nur ein müdes Murren, beim Bearbeiten von Aufgaben herrscht Totenstille und selbst wenn einige Lehrer ihrem Ärger Luft machen und den Kurs anschnauzen, schlafen die meisten oder ignorieren es, während sie auf ihren Handys herumspielen. Auf dieses Trauerspiel reagiert jeder Lehrende auf seine eigene Weise: Einige schrauben das Niveau hinunter, um die Mitarbeit zu erleichtern, einige bombardieren uns mit Tests und einige lesen nur demotiviert den Lektionstext herunter, ganz gleich ob es jemand versteht oder nicht. Wie sehr sich der Unterricht bei einigen Lehrern im Verlauf des Semesters geändert hat, ist mir heute erst wirklich bewusst geworden, als wir bei Herrn Ikuta im Unterricht saßen und nichts machten. Und so hatte ich mehr als genug Zeit mir Gedanken über meine Sprachlehrer und deren neue Unterrichtsmethoden zu machen.
Dass ich nie wirklich begeistert von Herrn Ikutas Unterricht war, habe ich schon oft berichtet. Ich war nie sehr angetan von seinen Lehrmethoden und hatte immer das Gefühl, dass er keinen großen Spass an seinem Beruf hat. Wie kann man da wohl noch demotivierter sein? Indem man einfach überhaupt nichts mehr macht. Der ohnehin schon recht ineffektive Unterricht von Herrn Ikuta ist mittlerweile nur noch eine Zeit des tatenlosen Herumsitzens. Er macht sich nicht einmal die Mühe den Lektionstext oder die Aufgabenstellungen vorzulesen, stattdessen lässt er uns in Stillarbeit alles selbst erarbeiten. Und so sitzen wir eine Stunde lang herum, blättern in unseren Wörterbüchern, beantworten die Fragen zum Text und verlassen schließlich den Unterricht. Ist man früher fertig, unterhält man sich, schläft oder vertreibt sich anderweitig die Zeit. Doch so uninspiriert dies auch klingen mag, es hat auch seine Vorteile: Endlich kann man in seinem eigenen Tempo arbeiten, kein lästiges Hetzen durch den Text, bei dem man ohnehin nichts versteht, kein Vorlesen von Kursteilnehmern, die für einen Absatz eine Ewigkeit brauchen und keine Nachfragen des Lehrers, auf die ohnehin nur Totenstille folgt. Es mag sich seltsam anhören, aber der Unterricht von Herrn Ikuta ist durch seine vollkommene Gleichgültigkeit besser geworden. Und nicht nur der Unterricht, auch die Tests: Er hat keine Motivation mehr umfassende, ausgefeilte Aufgabenstellungen zu erstellen, darum stellt er uns in den Prüfungen nur ein paar wenige, leichte Aufgaben und wirft mit guten Punktzahlen nur so um sich. Und so kam es, dass ich in der Konversationsprüfung mit Paul, Marvin und Nikki volle Punktzahl erhalten habe, obwohl ich gar nicht so gut vorbereitet war. Aber das scheint Herrn Ikuta mittlerweile egal zu sein. Hauptsache er hat möglichst wenig Mühe beim Lehren.
Ähnlich wenig Motivation zeigt auch Frau Sakatani. Die sonst etwas schusselige, aber freundliche Lehrerin, die immer darauf bedacht war die Texte so ausführlich zu besprechen, dass jeder sie verstehen konnte, liest die Texte nur noch monoton herunter. Es gibt keine Erklärungen mehr, keine lustigen Anekdoten, keine Nachfragen. Ob es jeder versteht, interessiert sie nicht mehr, sie fragt schon lange nicht mehr nach. Wenn sie von den Studierenden die Texte vorlesen lässt, merkt man wie ungeduldig sie geworden ist und jedes falsch gelesene Schriftzeichen mit gereizter Stimme sofort korrigiert. Lob gibt sie nicht mehr von sich, stattdessen hört man sie immer öfter klagen: Wieder weiß jemand nicht, wo wir uns im Text befinden, wieder schläft jemand im Unterricht, wieder hat sich kaum jemand vorbereitet. Doch ihre gelegentliche Kritik verhallt klanglos im stillen Unterrichtsraum. Diejenigen, die lauschen, betrifft es nicht, diejenigen, die es betreffen würde, hören ohnehin nicht zu. Und so rast Frau Sakatani durch die Texte, hofft möglichst schnell die Unterrichtszeit zu einem Ende zu bringen und verlässt manchmal so schnell den Raum, dass sie noch vor den Studenten am Aufzug steht.
"Der Zombiekurs" nennt uns die ältere, lebensfrohe Frau Takeda nur noch. Was sie zu Beginn des Semesters noch mit einem Lachen sagte, während sie auf ihrem Stuhl schaukelte, klingt nun nur noch wie ein müder Versuch irgendetwas zu sagen, um die Stille zu brechen. Sie erzählt noch ihre Anekdoten und lustigen Geschichten, doch ich sehe ihren traurigen Blick, wenn niemand lauscht, wenn niemand eine Reaktion zeigt und sie fast schon mit sich alleine redet. Ebenso auch Frau Nomura, die ältere Lehrerin, die uns immer versucht zum Lernen zu begeistern und sich so viel Mühe gibt unser Interesse auch an Themen Japans zu wecken, die nicht im Lehrbuch behandelt werden. Es ist nicht lange her, da stellte sie uns eine ganze Liste mit idiomatischen Ausdrücken im Japanischen zusammen, einfach so. "Diese Formulierungen werden sie öfter im Japanischen antreffen, da dachte ich mir, es hilft ihnen sie sie kompakt auf einem Zettel stehen haben.". Der Kurs schlief einfach weiter, niemand beteiligte sich, stattdessen hörte man vereinzelt leise Stimmen, die "Langweilig." oder "Wann ist denn Ende?" vor sich hin murmelten. Ein wenig betrübt schaute Frau Nomura auf ihre Liste und brach das Bearbeiten wegen mangelnden Interesses vorzeitig ab. Die Arbeit habe ich mir umsonst gemacht, konnte man an ihrem Blick ablesen.
Ganz anders begegnet Frau Nakanishi, die gestrenge Lehrerin mit dem makellosen Äußeren, dem Desinteresse des Kurses: Jeden Donnerstag setzt sie uns einen neuen Test vor. Immer und immer wieder. Es sollte eigentlich ein Aufsatz geschrieben werden? Stattdessen wird ein unbekannter Test mit Fragestellungen verteilt. Es sollte eigentlich ein neuer Text bearbeitet werden? Erst einmal wird ein Minitest abgehalten. Wir machen fast nichts anderes mehr. Welches Ziel sie damit genau verfolgt ist mir unklar, vielleicht denkt sie so das Interesse des Kurses zu wecken? Vielleicht möchte sie uns vor Augen führen, dass wir lernen sollten? Ich weiß es nicht. Ähnlichen Widerstand gegen die schlechten Manieren und Motivationslosigkeit des Kurses zeigt Frau Kitamura, indem sie regelmäßig durch die Reihen läuft und schlafende Studenten wachrüttelt, quasselnde Mädchen besonders oft an die Reihe nimmt oder auch einfach mal Mobiltelefone und ähnliches einsammelt, wenn diese bei den betreffenden Personen mehr Aufmerksamkeit erregen als sie selbst. Abgesehen davon versucht sie ihren Unterricht wie immer zu halten: Sie erklärt, sie stellt Verständnisfragen, sie lässt uns mitdenken. Auch wenn immer weniger Leute mitarbeiten, hält sie eisern an ihrem Unterricht fest und bevorzugt es ein paar schnippische Bemerkungen von sich zu geben, als nur zu klagen.
Die einzigen Lehrer, die immer noch exakt wie zum Beginn des Semesters lehren, sind die langweilige Frau Ezoe und die junge Frau Hara. Frau Ezoe hat schon immer am Lehrbuch geklebt und bei jeder Gelegenheit ihr charakteristisches "Wardasjetztverständlichjadaswarverständlich." eingestreut, da macht es keinen Unterschied, ob der Kurs wach ist, oder nicht. Frau Hara hingegen ist noch in der Ausbildungszeit und kann sich nicht erlauben ihre Pflicht nicht zu erfüllen und lehrt somit Woche für Woche mit gewohnter Freundlichkeit und voller Enthusiasmus.
Jeder Lehrer passt sich auf seine Weise an unseren Sprachkurs an. Jeder versucht auf seine Weise das Beste daraus zu machen, auch wenn dies manchmal bedeutet gar nichts mehr zu tun. Doch während ein Großteil des Kurses vollkommen ignoriert wie sich die Lehrer verändern, wie sie gleichgültig und motviationslos an der Tafel stehen, wie sie manchmal fast schon traurig auf einen stummen Kurs einreden, wie sie eisern, mit einem Lächeln durch die Lektion führen, mir entgeht es nicht und ich habe Mitleid mit ihnen. Während die anderen dösen, sitze ich aufrecht auf meinem Platz und arbeite mit. Ich kann nicht einfach zusehen, wie Frau Takeda einsam ihre Anekdoten erzählt, wie Frau Nomura sich abmüht, um uns zu helfen und nur stumme Kritik erntet, wie Frau Sakatani nur noch gereizt den Text abhandelt oder wie Frau Kitamura mit voller Kraft lehrt und nichts im Gegenzug erhält. Ich fühle mich in der Verantwortung das Desinteresse der anderen wett zu machen, und so nicke ich und lächele, wenn Frau Takeda erzählt, ich bedanke mich, wenn Frau Nomura uns selbsterstellte Unterlagen austeilt, ich frage nach und arbeite mit, wenn Frau Sakatani den Text bearbeitet und werfe böse Blicke auf meine Kommilitonen, wenn Frau Kitamura mit einer schnippischen Bemerkung ihrem Unmut über die anderen Kursteilnehmer freien Lauf lässt. Und ich denke die Lehrer danken es mir. Ich sehe wie erleichtert sie sind, wenn ich mich melde, wie sie mich anschauen, wenn sie etwas erzählen und der Rest des Kurses schläft, wie sie sich freuen, wenn ich eine Frage stelle, oder wie ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen huscht, wenn sie mir einen Test mit guter Punktzahl zurückgeben.
Es ist nicht so, als wäre ich der Einzige, der im Unterricht mitarbeitet, aber die Anzahl derjenigen, die überhaupt noch Interesse zeigen, ist doch an einer Hand abzuzählen. Und gerade wenn diese wenigen Personen fehlen oder doch einmal nicht mitarbeiten, wird es manchmal unerträglich. Nicht nur für die Studierenden, auch für die Lehrer. Ich habe dieses Semester acht verschiedene Lehrer, jeder mit seinen eigenen Lehrmethoden, jeder mit seinen eigenen Kniffs, aber auch Macken, doch keiner schafft es ein gutes Lernklima zu schaffen. Niemand kann mir sagen, dass dies alles die Schuld der Lehrer ist. Man hört immer, dass der Unterricht mit dem Lehrer steht und fällt, doch hier in Japan habe ich gelernt, dass ein Unterricht ein Geben und Nehmen ist. Und genauso wie ein Mensch nicht nur Geben kann, kann auch ein Lehrer nicht einfach nur Lehrern. Ich fühle mich in der Verantwortung zu Geben, auch wenn ich für elf andere Personen etwas mitgeben muss. Es ist anstrengend und oft muss ich mich dazu zwingen aufmerksam zu lauschen, interessiert zu schauen, eine Frage zu stellen oder einfach nur zu lächeln. Ich lerne im Unterricht, das ist keine Frage, aber wirklichen Spass am Geschehen habe ich nur noch selten. Ich würde mir wirklich einen Sprachkurs wünschen, in dem die Teilnehmer motiviert sind, rege am Geschehen teilnahmen und Spass haben. Es ist ermüdend sich Woche für Woche aufzuraffen und Positivität und Interesse auszustrahlen. Und so frage ich mich manchmal zu welchem Preis ich in den Unterricht gehe, wozu ich mir all die Mühen auflade. Doch jedes Mal wenn Frau Takeda etwas erzählt und sich freut, wenn ich lache, jedes Mal wenn Frau Kitamura ebenfalls lächelt, wenn ich über die Faulheit der anderen schmunzle, jedes Mal wenn Herr Ikuta anerkennend sieht, dass ich während der Stunde Stillarbeit tatsächlich gearbeitet habe, jedes Mal wenn Frau Sakatani übermäßig glücklich strahlt, wenn ich hin und wieder ein "Ja." oder "Ich habe verstanden." einstreue und jedes Mal wenn Frau Nomura erleichtert und stolz sieht wie ich mir zu ihrem Gesprochenen Notizen mache, dann weiß ich genau wofür ich all die Mühe investiere. Denn kein Mensch kann auf Dauer nur geben, ohne etwas zurückzubekommen.
6 Kommentare:
Und gerade bei so einem Beitrag fühle ich wieder stark: das ist der David den ich kenne, liebe und bewundere, und auf den ich stolz bin.
Ich belasse nur bei dieser kurzer Aussage, denn nach einem Blockseminar wo die Hälfte der Vorträge schlecht war und doch 5 Stunden angedauert hat, bin ich nur noch müde.
mit einem Lächeln, Kathrine.
Mir tun deine Lehrer wirklich Leid. Eurer Kurs nimmt ihnen die ganze Freude an ihrem Beruf. Man kann nur hoffen, dass die anderen Klassen etwas motivierter sind.
Hier wird das Problem der Demotivation anders gelöst: die Studenten kommen einfach nicht mehr, es wird zur Kenntnis genommen, aber nicht kontrolliert, und die einfachen Klausurenfragen bestärken nur diejenigen, die Minimalarbeit leisten: kurze und einfache Klausuren sind auch weniger Arbeit für die Dozenten. So einfach ist das.
Erst einmal einen Dank an euch drei für die rege Nutzung der Kommentarfunktion. Ich war doch ziemlich überrascht über Nacht so viele Antworten zu erhalten. : )
Ich finde ja immer, dass der Unterricht um einiges besser werden könnte, wenn die ganz Demotivierten gar nicht erst kommen würden, also ähnlich wie Katha es beschrieben hat. Doch da macht einem die Anwesenheitsliste einen Strich durch die Rechnung. Auf der wird nämlich akkurat vermerkt wer wann gefehlt hat. Und wer mehr als vierzig Prozent der Unterrichtszeit aussetzt, der kommt erst gar nicht in den nächsten Kurs. Das führt dann dazu, dass die Leute der Anwesenheit wegen kommen, nicht des Lernens wegen. Wie die Lehrer darauf reagieren, habe ich ja beschrieben. Vor allem Herr Ikuta folgt da ganz Kathas Beschreibung.
Ich hatte übrigens den gleichen Gedankengang wie du, Helene. Darum habe ich bei Lee und Milena ein wenig nachgehakt, wie der Unterricht bei ihnen ist. Es scheint, dass es ähnliches Verhalten gibt, wenn auch nicht ganz so extrem. Auffällig ist aber, dass wie bei mir im Kurs die Chinesen größtenteils schlafen und demotiviert sind, während die Nicht-Asiaten, also mein Mitbewohner Yosuke, meine Nachbarin Milena, zwei Briten, eine Polin und Lee eifriger mitarbeiten, auch wenn sie öfter blau machen oder dem Unterricht fernbleiben. Vielleicht scheint es wirklich einen Mentalitätsunterschied zwischen Asien und Europa/Amerika zu geben: Die Asiaten gehen in den Unterricht und machen nichts, wenn sie keine Lust haben und die Europäer gehen hin und arbeiten mit, bzw. kommen einfach nicht, wenn sie wissen, dass sie nicht mitarbeiten wollen.
Und vielleicht hat der Mittelkurs einfach den Vorteil, dass verhältnismäßig mehr Europäer/Amerikaner im Sprachkurs sind. Eine fixe Überlegung, was meint ihr dazu?
Zumindest zeigt einem der Unterricht im Sprachkurs eine Sache ganz deutlich: Es ist nicht so schön Sprachlehrer zu sein, wie man es sich vorstellen würde.
Ich wünsche euch allen einen schönen Tag und interessanten Unterricht an der Uni. Vor allem Katrin hat ja in den letzten Wochen mit schlechten Vorträgen, Hausarbeiten und langweiliger Beobachtung von Ratten zu kämpfen. : )
Viele grüße aus Soka,
David
Ja, es scheint wohl wirklich einen Mentalitätstunterschied zu geben. Es ist wirklich auffälig, dass es in allen Kursen gleich mit den Chinesen steht. Ich kann mir nur gar nicht erklären, warum die alle so demotiviert sind? Aber ich weiß auch nicht viel über China. Kannst du dir das irgendwie erklären?
Ich kenne mich mit China auch kaum aus, darum bin ich leider keine große Hilfe, aber Michi kann ja im kommenden Jahr in seinem Sprachkurs beobachten, ob ihm ähnliches auffällt. Vielleicht frage ich auch mal Ayano oder Tak, ob sie Vergleichbares aus ihren Unikursen oder ihren Auslandsaufenthalten kennen.
Das würde mich ernsthaft interessieren, ob wir hier wirklich auf einen Kulturunterschied gestossen sind.
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