Freitag, 27. März 2009

Unglücklich das Land, das Handys nötig hat

Es ist schon zu einem Markenzeichen von mir geworden, dass ich kein Mobiltelefon habe. Als ich noch in der Mittelstufe des Gymnasiums war, kam es in Mode, dass sich jeder ein Mobiltelefon zulegte. Ich tat es aus Protest nicht, schließlich waren damals Mobiltelefone für mich nicht viel mehr als ein kurzlebiger Modetrend so wie Knöpfhosen oder Plateauschuhe. Als ich dann in die Oberstufe wechselte, erkannt ich irgendwann, dass Mobiltelefone mitunter durchaus einen praktischen Zweck erfüllten und wich von meiner anfänglichen Protesthaltung ab. Dennoch kaufte ich mir kein Mobiltelefon, weil ich einfach keinen Nutzen für mich sah. "Du kannst jemanden anrufen, wenn der Zug ausfällt. Oder wenn du abends von einer Party abgeholt werden willst.", versuchten mich damals einige übereifrige Freunde zu überreden, woraufhin ich immer nur entgegnete: "Wenn der Zug ausfällt, nehme ich den Bus. Oder warte auf den Nächsten. Und auf Partys gehe ich nicht.". Und so war es auch. Abgesehen davon arbeitete meine Mutter stets Schichtdienst und war mittags ohnehin fast nie zu Hause, wenn ich Schulschluss hatte, weshalb es meistens doch recht sinnlos gewesen wäre bei ihr anzurufen. Als ich schließlich nach Marburg zog und mein Studium aufnahm, hatte fast jeder ein Mobiltelefon. Und so wurde oft auf eben jenem angerufen, wenn man sich für eine Gruppenarbeit traf oder morgens eine Vorlesung ausfiel. Dennoch kaufte ich mir kein Mobiltelefon, weil mir schlichtweg das nötige Geld fehlte. Und so kam es, dass ich ohne jegliche Erfahrung mit Mobiltelefonen aufgewachsen bin und bis heute noch vollkommen verwirrt bin, wenn ich das Mobiltelefon eines anderen benutzten soll, sei es zum Telefonieren oder SMS schreiben.
In meinem handyfreien Leben habe ich schon viele Reaktionen auf die Aussage: "Ich besitze kein Mobiltelefon." erhalten. Einige Leute blickten mich ungläubig an, als hätten sie einen Geist gesehen, einige schüttelten ungläubig den Kopf, gerade so als hätte ich mich im Bus betrunken und übergeben, andere wiederum sagten mit einem breiten Grinsen "Sei froh!" oder klopften mir enthusiastisch auf die Schulter und lobten mich in den höchsten Tönen, als wäre es eine große Errungenschaft, auf die man stolz zu sein hat. Doch ganz gleich wie die anderen Leute reagieren oder, was sie sagen, ich bin bis heute immer noch der Meinung, dass ein Mobiltelefon überaus nützlich sein kann, aber nicht unbedingt notwendig ist. Zumindest in Deutschland. In Japan sieht das ein wenig anders aus.
Ich wußte vor meinem Jahr in Japan, das Mobiltelefone hier sehr verbreitet sind. In meiner Altersgruppe sogar bei rund 100 Prozent. Und auch wenn man Zug fährt oder an öffentlichen Plätzen Leute beobachtet, sieht man das hier fast jeder ein Handy hat. Im Gegensatz zu dem, was ich von deutschen Mobiltelefonen gewohnt bin, haben japanische Handys allerdings mehr Anwendungszwecke im Alltag. Beispielsweise als Fotoapparat. Natürlich können auch viele neuere Mobiltelefone in Deutschland Fotos machen, oftmals hat man bei uns für Ausflüge allerdings eine Digitalkamera dabei und das Mobiltelefon ist meist eher ein Gimmick. In Japan hingegen fotografiert fast jeder mit seinem Mobiltelefon alle Sehenswürdigkeiten, kleine handliche Digitalkameras, wie ich eine besitze, habe ich hier kaum gesehen. Stattdessen gibt es einige Japaner, die mit aufwendiger Fotoausrüstung, einer Spiegelreflexkamera und Stativ herumlaufen. Eine andere Funktion ist Internetzugang und die E-Mailfunktion. Mit deutschen Handys schreibt man SMS, mit japanischen schreibt man gleich E-Mails und hat auch eine eigene E-Mailadresse, über die man von überall auf der Welt erreicht werden kann. Dafür sind Festnetzanschlüsse nicht sehr verbreitet, sowohl für Internet, als auch für ein Festnetztelefon. Das japansiche Mobiltelefon ist somit ein Multifunktionsprodukt, das weitaus mehr umfasst, als man sich als Deutscher unter dem Begriff "Mobiltelefon" vorstellen würde. Es ist eine Art Fusion von Telefon, Spielkonsole, Kamera, Internetzugang und Fernseher. Man möchte auf einer Zugfahrt spielen? Man benutzt das Mobiltelefon. Man möchte etwas fotografieren? Man benutzt das Mobiltelefon. Man braucht Auskunft über Zuganbindungen? Man benutzt das Mobiltelefon. Man möchte Kontaktadressen austauschen? Man hält einfach die Schnittstellen zweier Mobiltelefone aneinander. Vielleicht lässt sich somit der hohe Verbreitungsgrad von Mobiltelefonen in allen Generationen Japans, von den Kindern bis zu den Ältesten, erklären.
Aber warum erzähle ich das alles? Nun, aus dem einfachen Grund, weil Mobiltelefone hier in Japan mittlerweile so verbreitet sind, dass es als selbstverständlich gilt über eines zu verfügen. Man fügt bei Kontaktadressen keine Festnetznummer, sondern nur seine Mobiltelefonnummer an. Bei Bestellungen wird man gebeten seine Mobiltelefonnummer anzugeben. Und selbst wenn man Geld überweist, muss man zur Verifizierung seine Mobiltelefonnummer in den Automaten eintippen. Dumm nur, wenn man gar kein Mobiltelefon besitzt, so wie ich.
An meinem 172. Tag in Japan habe ich übers Internet endlich die Reservierung für eine Unterkunft in Kyoto und einen passenden Nachtbus zur An- und Abreise vorgenommen. Es war das erste Mal, das ich selbst eine Unterkunft gebucht und mit Kreditkarte bezahlt hatte. Ich wußte gar nicht, wie soetwas genau funktionierte und da half es mir auch nicht, dass vieles nur auf Japanisch geschrieben stand. Doch mein Problem war weniger die Sprache, als mein fehlendes Mobiltelefon. Denn immer wenn ich ein Onlineformular fein säuberlich mit Name, Anschrift und allen nötigen Angaben ausgefüllt hatte und absenden wollte, erschien der nette Hinweis, dass ich noch nicht alle erforderlichen Felder ausgefüllt hatte, woraufhin das Feld für die Mobiltelefonnummer rot unterstrichen im Formular betont wurde. Und egal was ich tat, ich kam um diese Nummer nicht herum. So wäre meine Onlinereservierung beinahe an einer fehlenden Telefonnummer gescheitert, hätte ich nicht netterweise von Ayano und meiner Freundin Ninja, deren Mobiltelefonnummern bekommen, um damit die nötigen Formulare auszufüllen.
Wenn ich Leute über Japan sprechen höre, die dort waren, dann erzählen sie oft, dass es ohne Sprachkenntnisse sehr schwer ist zurechtzukommen. In Zukunft werde ich dann immer anfügen, dass es ohne japanisches Mobiltelefon fast ebenso schwer ist, da man theoretisch weder etwas Buchen, noch Überweisen kann. Sogar für meinen Mietvertrag und zur Eröffnung meines japanischen Kontos brauchte ich eine Mobiltelefonnummer. Glücklicherweise halfen mir damals immer nette Japaner aus, mal Shinya, mal Tomomi. Doch was ist, wenn man niemanden kennt, der mit seiner eigenen Telefonnummer für jemanden bürgen würde? Dann wünsche ich mich doch lieber nach Deutschland, wo das Handy ein nützliches, aber nicht notwendiges Gerät ist und man auch überleben kann, wenn man sein Leben lang noch nie mit einem Mobiltelefon zu tun hatte, ganz gleich aus welchem Grund. Denn unglücklich das Land, das Handys nötig hat.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Ich stimme dir zu, wirklich nötig ist das Handy in Deutschland nicht und die Schulzeit habe ich auch tapfer ohne ein Handy überstanden. Aber während des Studiums hat es sich dann doch als sehr hilfreich erwiesen, denn die SMS als Kommunikationsmittel ist doch sehr nützlich. Denn genauso wie man es zum Teil bei Skype vorzieht zu chatten anstatt zu telefonieren, oder man lieber jemandem eine Email schreibt, als ihn gleich anzurufen, ist es häufig bequemer, eine einfache SMS zu verfassen. Und die kann der Empfänger dann lesen, wenn er gerade Zeit hat, unabhängig davon, ob er gerade zu Hause ist oder nicht.

Ich finde es auch sehr erstaunlich, dass man in Formularen in Japan seine Mobilfunknummer angeben muss. Ist schon ein eigenartiger Gedanke, dass es dort keine Telefone mehr gibt. Aber dass die Japaner dann sogar auf einen richtigen Internetanschluss verzichten, finde ich schon merkwürdig, schließlich ist der Bildschirm eines Handys wesentlich kleiner als der eines Computers. Ich denke, darauf würde ich nicht verzichten.

David Kraft hat gesagt…

Ja, Handys haben sicher ihre Vorteile. Wenn ich wieder in Deutschland bin und irgendwann mal genug habe, kaufe ich mir auch ein hypermodernes Mobiltelefon, das ich letztlich doch nur zum Telefonieren nutzen werde : )

Ich war am Anfang auch verwirrt, dass viele Studenten den ganzen Tag am Rechner in der Uni hängen und nicht lieber nach Hause gehen. Aber es liegt wirklich daran, dass Festnetzinternet am PC hier nicht so verbreitet ist. Natürlich gibt es das auch, aber eben viel seltener als bei uns. Vielleicht können wir uns ein Leben ohne Festnetzinternet nicht vorstellen, weil wir so daran gewöhnt sind, genauso wie sich Japaner vielleicht denken: "Warum haben die Deutschen alle so einen unbeweglichen Klotz rumstehen? Da kann man doch gar nichts unterwegs schauen, nicht unterwegs spielen oder nachschauen. Wenn ich mal länger ins Internet muss, dann gehe ich doch an den Uni-/Firmenrechner, wozu sollte ich da Unmengen für einen Rechner zu Hause ausgeben?" Die sind einfach auf ihre Sicht eingefahren.

Schon interessant mit den Unterschieden zwischen Japan und Deutschland.