Samstag, 28. März 2009

Die Sache mit der Überweisung

Neuer Tag, neues Glück. Nach meinem gestrigen Rückzieher hatte ich mir heute vorgenommen das Geld für die Busfahrt zu überweisen. Deshalb hatte ich mich diesmal vorbereitet: Ich hatte alle Kontodaten fein säuberlich auf einen Zettel aufgeschrieben, mir Vokabeln für Überweisung, Einzahlung, Bargeld und Konto herausgesucht und notiert und mir von Ayano am Vortag einen kurzen Text beibringen lassen, mit dem ich mein geplantes Anliegen verständlich vortragen konnte. Das Geld hatte ich im Portemonnaie, im Rucksack sicherheitshalber auch alle Unterlagen, die mit meinem japanischen Konto im Zusammenhang standen, Ausweis, Reisepass und ein Taschenwörterbuch für den Notfall. Sicherlich ein wenig übertrieben für eine simple Überweisung, aber ich wollte sichergehen, dass rein gar nichts schief gehen konnte. Und so machte ich mich auf den Weg zur japanischen Resona-Bank, bei der ich mein Konto hatte. Allerdings nicht zu jener Filiale, zu der ich sonst immer laufe, nein, ich ging geradewegs zur großen Hauptfiliale in der Nähe des Bahnhofs von Soka, da Ayano mir versichert hatte, dass ich dort sicherlich Erfolg haben würde.
Nach gut einer Viertelstunde Fußmarsch erreichte ich die Hauptfiliale und schaute mich nach dem Betreten der Bank zunächst hilfesuchend um. Vor mir standen unzählige Automaten an der Wand aufgereiht, doch nach meinem gestrigen Pech an den Bankautomaten, wollte ich mir diesmal lieber gleich helfen lassen. Da kam mir eine Serviceangestellte, die an einem kleinen Serviceschalter stand, gerade recht. Als ich sie hilfesuchend anblickte, kam sie sofort lächelnd auf mich zu und fragte wie sie mir helfen könne, woraufhin ich versuchte möglichst souverän meinen kurzen Text aufzusagen, den ich auf dem Hinweg immer wieder in Gedanken durchgegangen war: "Entschuldigen Sie. Ich würde gerne eine Überweisung tätigen. Allerdings nicht von einem Konto aus, sondern mit Bargeld. Könnten Sie mir behilflich sein?". Ich fügte meinem Satz noch ein Lächeln an und deutete verheißungsvoll auf mein Portemonnaie, das ich in der Hand hielt. Die Frau nickte und wiederholte nochmals in knapper Form mein Anliegen. Auf meine Frage nach der Bankgesellschaft des Empfängers, überlegte ich erst, dann entfaltete ich meinen Zettel mit den Kontodaten und reichte ihn ihr mit den Worten "Hier steht alles geschrieben.". Sie warf einen Blick darauf und sprach mich dann erneut an: "Sie können hier überweisen, aber das kostet 600 Yen Gebühr. Wenn Sie direkt zu Mitsui-Sumitomo-Bank gehen, können Sie auch ohne Gebühr überweisen. Dazu müssen Sie nur diese Straße herunterlaufen. Es ist nicht sehr weit.". Geld zu sparen wäre nicht schlecht, dachte ich mir, aber dazu müsste ich meinen Text in einer anderen Bank noch einmal vortragen. Und nun war ich schon so kurz vor der Überweisung, da nehme ich die Gebühren in Kauf. "Das ist schon in Ordnung.", sagte ich lächelnd, woraufhin die Frau nickte und mich an einen der vielen Bankautomaten führte, die an der Wand aufgereiht waren. Als ich einen Blick auf das Display warf, sah ich fast die gleichen Optionen, wie an dem gestrigen Automaten. Nur eine Sache war anders, die mir sofort ins Auge fiel: Eine Option zur Überweisung durch Bareinzahlung. Ausgerechnet mit jenen Schriftzeichen geschrieben, die ich mir erst am Morgen herausgesucht hatte. Natürlich ließ ich mir nicht anmerken, dass ich nun wahrscheinlich den gesamten Überweisungsvorgang auch selbst hätte erledigen können, und ließ die Servicedame alle Daten eintippen, schließlich hatte sie noch immer den Zettel in der Hand. Und so gab sie die Kontonummer, das Bankinstitut und alle übrigen Daten ein, manchmal mit einer kurzen Pause, um mir Zeit zu lassen ihre Eingabe zu bestätigen. Meinen Namen durfte ich dann selbst schreiben und zum Schluss gab es noch eine abschließende Eingabe zu tätigen: Ich blickte auf das Display und konnte meinen Augen nicht trauen: Ich sollte zur Verifizierung meine Mobiltelefonnummer angeben. "Ich besitze kein Mobiltelefon.", sagte ich ein wenig niedergeschlagen. "Sie besitzen kein Mobiltelefon?". Die Dame war sichtlich überrascht und wußte nicht genau wie sie nun fortfahren sollte. "Für eine Überweisung ist die Angabe der persönlichen Mobiltelefonnummer unentbehrlich. Ich kann den Überweisungsvorgang nicht ohne die Angabe einer Nummer abschließen.". Einmal mehr ärgerte ich mich über die Notwendigkeit von Mobiltelefonen in Japan und fragte ein wenig hilflos, was ich denn ohne Mobiltelefon machen sollte. Da meinte sie, dass ich doch bestimmt jemanden kennen würde, der mit seiner Mobiltelefonnummer für mich bürgen würde, woraufhin ich kurz nachdachte. Natürlich könnte ich einfach Ayanos Telefonnummer angeben, aber die hatte ich natürlich nicht dabei. Und so blieb mir vorerst nichts anderes übrig als den Überweisungsvorgang abzubrechen und der Dame mitzuteilen, dass ich später nochmals mit einer Mobiltelefonnummer vorbeikommen würde. Sie nickte, gab mir meinen Zettel zurück und entschuldigte sich mehrmals für die Unannehmlichkeiten.
Nachdem ich zum Wohnheim gelaufen, Ayanos Mobiltelefonnummer herausgesucht und notiert hatte und einmal mehr zur Hauptfiliale gelaufen war, betrat ich die Filiale von neuem und hielt Ausschau nach der Dame vom Serviceschalter. Sie stand gerade an einem Tisch und half einer älteren Dame beim Ausfüllen eines Formulars und so wartete ich einen Moment und legte mir im Kopf schon einmal mögliche Sätze zurecht. Kaum war die Servicedame fertig, lief sie zielstrebig auf mich zu, was mich ziemlich überraschte, da ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich ihr aufgefallen war. Sie begrüßte mich herzlich zurück, nahm sofort den Zettel mit den Kontodaten an sich und führte mich wieder an den Automaten, ohne dass ich etwas sagen musste. Während sie in Windeseile erneut die Daten eintippte, dachte ich darüber nach wie unterschiedlich Service hier in Japan und in Deutschland waren. Schon öfter hatte ich den Ausdruck "Servicewüste Deutschland" gehört, doch ohne einen passenden Vergleich mit einem anderen Land, hatte ich mir unter diesem Ausdruck nie wirklich etwas vorstellen können. Hin und wieder hatte ich mich über die unfreundlichen Kassierer in Supermärkten aufgeregt, insbesondere über die unmotivierten Kassierer im Aldi, die mich irgendwann dazu veranlasst hatten nur noch mit gezähltem Geld und einpackbereitem Rucksack an eine Aldikasse zu gehen, weil man immer mit stechenden Blicken gelöchert wurde, wenn man nicht schnell genug seine Waren und sein Geld weggesteckt hatte. Aber abgesehen davon war für mich Service in Deutschland immer normal. Erst hier in Japan war mir aufgefallen was Kundenfreundlichkeit wirklich bedeutete. Und dabei geht es nicht nur einfach darum nett zu lächeln, wenn man an der Kasse die Waren des Kunden eintippt, nein, hier in Japan wird man gegrüßt, wenn man in einen Laden kommt, betritt man einen Gang, in dem gerade Waren in die Regale geräumt werden, entschuldigen sich die Mitarbeiter, packen schnell die Sachen zusammen und verlassen den Gang, damit man ungestört die Waren betrachten kann, und man bekommt seine Waren eingepackt und auf Wunsch Essstäbchen, Besteck oder kostenloses Eis zum Kühlen von Tiefkühlwaren. Und wenn irgendetwas einmal schief gehen sollte, was auch immer, dann entschuldigt sich immer das Servicepersonal, denn der Kunde soll sich niemals unwohl fühlen. 
Und so genoss ich letztlich meine Überweisung, weil ich kaum etwas machen musste. Ich bestätigte meine Daten mit einem knappen "Ja", tippte meinen Namen und Ayanos Mobiltelefonnummer ein und zahlte schließlich das Geld ein. Und als dann alles vorbei war, bedankte sich die Dame vom Serviceschalter dafür, dass ich ihre Bank genutzt hatte und entschuldigte sich nochmals für die Unannehmlichkeiten mit der Mobiltelefonnummer und dafür, dass sie so lange gebraucht hätte all die Daten einzutippen, obwohl ich selten jemanden so schnell tippen gesehen hatte. Und dann bedankte ich mich überschwenglich für ihre Hilfe und entschuldigte mich für die Unannehmlichkeiten, die ich verursacht hatte, woraufhin die Dame vom Serviceschalter lächelte. Nicht mit einem Servicelächeln, das man jedem Kunden entgegenbringt, sondern mit einem wirklichen Lächeln, das man nur zeigt, wenn man sich wirklich von Herzen freut. Ich verließ die Bank und lief erleichtert zurück zum Wohnheim, denn endlich war auch die letzte Hürde für den Urlaub in Kyoto genommen. In wenigen Tagen sollte es bereits losgehen und schon morgen würde mein Freund aus Deutschland ankommen. Darum verbrachte ich den Rest des Tages mit Einkäufen für die nächsten Tage, putzte die Wohnung und plante meine morgige Fahrt zum internationalen Flughafen von Narita. Später traf ich Ayano übers Internet, berichtete ihr sogleich von meinem Erlebnis auf der Bank und beichtete ihr, dass ich ihre Mobiltelefonnummer für die Überweisung genutzt hatte. Doch das störte sie überhaupt nicht, stattdessen entschuldigte sie sich dafür, dass sie mir vorher nicht gesagt hatte, dass ich eine Telefonnummer brauchen würde. "Ach, es hat doch letztlich alles geklappt. Das ist schließlich das Wichtigste. Denn jetzt steht meinem Urlaub endlich nichts mehr im Wege. Und wenn ich aus Kyoto zurück bin, muss ich mich irgendwie für all die Hilfe und Unterstützung revanchieren, die du mir in den letzten Tagen entgegen gebracht hast."

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