Freitag, 23. Januar 2009

Meine kleine Nasszelle

Es ist Tag 107 in Japan und die typische Zeit zwischen den Jahren: Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei und Silvester rollt unaufhaltsam auf einen zu. Auch hier in Japan ist es ziemlich kalt geworden und da meine Wohnung nicht sehr gut isoliert ist, pfeift der Wind nur so durch alle Ritzen und es zieht fast den ganzen Tag, wenn man seine Zimmertür nicht verschließt. Das wiederum führt zu einem anderen Dilemma: Da sich nämlich nur in meinem und Yosukes Zimmer eine Klimaanlage zum Heizen befindet, ist es dieser Tage in der Küche und im Bad grundsätzlich immer eiskalt. Somit finden fast alle Aktivitäten in meinem Zimmer statt, wo ich dann lese, mit meinem neuen Nintendo DS spiele, oder hin und wieder den Unterrichtsstoff der letzten Monate wiederhole, schließlich schreibe ich Anfang Januar bereits meine Semesterabschlussklausur. Im Moment kommt mir das aber noch ganz weit entfernt vor. Wenn ich bei diesen ungemütlichen Temperaturen mein Zimmer einmal verlasse, dann in der Regel nur zu den folgenden Anlässen: Zum Klo gehen, zum Wasser- oder Reiskocher gehen oder den Kühlschrank öffnen. Und natürlich der Gang ins Bad jeden Morgen und Abend. Ja, der Besuch des "Bades"...
In den dreieinhalb Monaten, die ich hier bin, habe ich noch kein einziges Mal mein Bad erwähnt. Vielleicht deshalb, weil ich es selbst nicht wirklich als Bad bezeichnen würde. Eigentlich nenne ich es immer "meine kleine Nasszelle", da der Raum, den man "Bad" bezeichnen könnte, nichts weiter als eine begehbare Dusche ist. Man tritt durch eine Tür und steht in einem nicht einmal zwei Quadratmeter großen Raum, der überall mit Plastik verkleidet ist. Wer sich  nun denken, dass fast zwei Quadratmeter doch ziemlich groß sind, hat nicht bedacht, dass dieser Raum auch eine Badewanne beinhaltet, die sich nahtlos in die Ganzzimmerplastikverkleidung einfügt. Da diese Badewanne, die mehr tief als breit ist, fast die Hälfte des Raumes einnimmt, bleibt nur eine recht beschauliche Fläche fürs Duschen übrig. Glücklicherweise passe ich trotz meiner Körpergröße ungebeugt unter den Duschkopf an der Wand. Immerhin hat dieser enge Raum den Vorteil, dass die kleine Nasszelle sich bei den derzeitigen Temperaturen innerhalb kürzester Zeit aufheizt und einnebelt und man bereits nach den ersten zwei Minuten in einer Art privaten Dampfsauna steht. Darum ist der tägliche Gang in meine kleine Nasszelle doch immer ein recht entspannendes und angenehmes Erlebnis, auch wenn man danach immer wieder in die eisige Wohnung hinaus muss, um sich zittrig am Waschbecken die Zähne zu putzen.


Bild1: Ein Blick in meine kleine Nasszelle. Auf der Erhöhung am Boden stehen neben der großen grünen Flasche mit Bodylotion mein Shampoo und der Conditioner (vielleicht erinnert sich ja jemand an den Beitrag dazu)


Bild2: Ein Blick auf die winzige Badewanne direkt neben der Dusche.


Bild3: Ein Blick auf das Waschbecken, das der Eingangstür zur Nasszelle direkt gegenüberliegt. Im Spiegel sieht man mich, wie ich versuche mich im Türrahmen möglichst weit nach hinten zu lehnen, damit ich nicht auf den nassen Boden treten muss.


Während der Vorlesungszeit hatte es sich hier in der Wohnung so eingebürgert, dass ich morgens ab Viertel vor Acht die Toilette, Dusche und das Waschbecken benutze und Yosuke dann ab etwa Viertel nach Acht alles für sich beansprucht. So hatte ich mir morgens angewöhnt alle Ressourcen möglichst effizient zu nutzen, um keine unnötige Zeit zu verschwenden. Nun da ich über die Feiertage die Wohnung für mich alleine habe, da Yosuke zu Besuch bei einer Freundin in Kyoto ist, habe ich begonnen mir Gedanken über eine etwas ausschweifendere Nutzung des Bades zu machen. Deshalb habe ich heute das erste Mal nach fast vier Monaten wieder einmal entspannt gebadet. Zumindest so entspannt, wie man in einem winzigen Bottich, in dem man mit angezogenen Beinen gerade einmal bis zur Brust mit Wasser bedeckt sitzen kann, entspannen kann. Trotz der Enge habe ich es genossen einfach mal in meiner kleinen Nasszelle bei tropischem Klima die Seele baumeln zu lassen und zu wissen, dass ich für Stunden hier einweichen könnte, ohne dass es jemanden kümmern würde.
Im Laufe des Nachmittags erhielt ich dann noch zweimal Besuch. Das erste Mal kam ein Mitarbeiter des japanischen Lieferservices, um mir ein Paket mit Weihnachtsgeschenken meines Freundes und dessen Familie aus Deutschland zu übergeben. Liebevoll war jede noch so kleine Sache, vom Fertigpudding bis zur Zahnpastatube, als kleines Geschenk verpackt, weshalb ich ein weiteres Mal Heiligabend spielen konnte. Als es das zweite Mal klingelte, stand Michael aus Bremen vor der Tür und fragte nach, ob er in den nächsten Tagen den Internetzugang von Yosuke nutzen könnte, da über die Festtage die Universität geschlossen sei und er doch seine Familie wegen Weihnachten und Neujahr kontaktieren wolle. Natürlich sagte ich ihm zu und lud ihn ein jederzeit vorbeizukommen. Ein wenig Gesellschaft kam mir schließlich recht gelegen.


Bild4: Das Paket mit den vielen Geschenken von meinem Freund und dessen Familie aus Deutschland.


Als ich abends wieder in meine kleine Nasszelle ging und mich ganz traditionell wieder duschte, kam mir das erste Mal die Idee, das zu machen, wovon immer so viele sprechen: Beim Duschen singen. Kam ich mir anfangs noch ein wenig dumm vor als Möchtegern-Popstar unter dem Duschstrahl zu stehen, fand ich doch recht schnell Gefallen daran für einige Minuten einmal vor einem Millionenpublikum zu stehen und zu singen. Wahrscheinlich werde ich dies in den nächsten Tagen noch öfter tun, naja, zumindest bis Yosuke wieder da ist. Dann wird mein neugefundenes tropisches Paradies wieder zu einer gewöhnlichen Nasszelle herabgestuft. Denn ich weiß wie peinlich schräger Gesang unter der Dusche für Mitbewohner sein kann, schließlich hat Yosuke in den letzten Monaten vergeblich versucht jeden Morgen unter der Dusche ein Millionenpublikum für sich zu gewinnen.

Keine Kommentare: