Alle Jahre wieder feiert jeder von uns Weihnachten so wie er es gewohnt ist. Möglicherweise mit Familientreffen, einem großes Festmahl, Geschenken, Unmengen von Weihnachtsgebäck, Gottesdiensten, gemeinsamem Musizieren oder einem Spaziergang über den Weihnachtsmarkt. Und so verbringt man Weihnachtsfest um Weihnachtsfest immer irgendwie anders, im Großen und Ganzen aber doch gleich. Nur selten gerät man unter den Zwang alles einmal anders zu machen, alles einmal neu zu erleben: Nämlich dann, wenn nichts mehr so ist, wie man es bis dahin gewohnt war: Wenn kein Weihnachtsgottesdienst angeboten wird, wenn es keinen Weihnachtsmarkt gibt, wenn niemand ein großes Festmahl zubereitet, wenn niemand mit einem Weihnachtslieder singen möchte und man keine Familie um sich hat, die mit einem feiert. Was bleibt dann noch von dem Weihnachten, das man kennt?
Den Vormittag des ersten Weihnachtsfeiertages hier in Japan, habe ich wie wohl wie fast jede Hausfrau und jeder Hausmann in Deutschland verbracht: Ich habe geputzt, ich habe aufgeräumt, ich habe gekocht und versucht die Wohnung für die abendliche Weihnachtsfeier schön herzurichten. Am liebsten wollte ich es allen Recht machen, obwohl eigentlich außer mir niemand irgendwelche Erwartungen an die Feier heute hatte. Dennoch putzte ich Bereiche der Wohnung, die niemals zuvor einen Putzlappen gesehen haben mögen, räumte das Mobiliar der gesamten Wohnung um, bis ich eine passende Anordnung gefunden zu haben schien, und war versessen darauf mit Weihnachtsmusik, -dekoration und -Gebäck ein weihnachtliches Flair aufkommen zu lassen. Da nicht eine Person das gesamte Essen in die Hand nehmen wollte, war geplant, dass jeder Gast ein eigenes Gericht beisteuern sollte und sich somit ein kleines Buffet anhäufen würde, aus dem jeder auswählen konnte. Somit widmete ich mich dem Zubereiten eines Bohnensalates und einer Platte voller Sandwiches. Die Basteleien vom Vortag nutzte ich zur Dekoration der Wohnung, indem ich Girlanden bastelte oder Schneeflocken an die Wand heftete. Auf dem Tisch ordnete ich Kerzen an und ließ als Hintergrundmusik Weihnachtslieder aus aller Welt dudeln. Und so verbrachte ich Stunden mit hektischer Vorbereitung, bevor ich mich vollkommen gestresst selbst noch duschte und anzog und schließlich begann mich auf einen perfekten Weihnachtsabend zu freuen, während ich letzte Vorbereitungen traf.
Bild1: Das "Weihnachtszimmer" in dem alle Speisen und Getränke waren.
Bild2: Meine selbstgebastelten Weihnachtsgirlanden mit den Schneeflocken und Päckchen, die wir Heiligabend mit Tomomi gebastelt haben.
Bild3: Der Tisch mit den Weihnachtssüßigkeiten. Voll mit Spekulatius, Lebkuchen, Plätzchen, Schokolade und sonstigem Süßkram.
Bild4: Unser kleines Buffet: Bohnensalat, Sandwiches, Reissalat und Sushi.
Bild5: Der Tisch, an dem wir alle saßen, wurde weihnachtlich mit Kerzen dekoriert.
Pünktlich um fünf Uhr kam Lee mit zusätzlichen Stäbchen, einem Stuhl und ihrem Beitrag fürs Buffet (Reissalat und Sushi), während Katharina noch in ihrem Zimmer saß und Computer spielte. Als wir dann schließlich zu dritt in meiner Wohnung waren, saßen wir da und wussten nicht, was wir machen sollten. Und darauf war ich gar nicht vorbereitet gewesen. Ich war es gewohnt, dass es etwas zu tun gab oder alle sich "einfach so" beschäftigten, sei es mit Spielen, mit Gesprächen oder anderen Dingen. Darum saßen wir zu dritt da, aßen stumm einen Teller nach dem anderen und schauten zu wie Katharina mit einem Essstäbchen im Kerzenwachs herumstocherte, während im Hintergrund die Weihnachtslieder dudelten. Jeder Versuch eine Konversation aufzubauen schlug fehl und so saßen wir unsere Zeit ab, bis schließlich gegen Viertel nach Sechs Tak und Ayano kamen.
Was hatte ich erwartet? Vielleicht, dass nun alles anders werden würde und ich endlich eine Weihnachtsfeier haben würde, wie ich es kannte: Das Gefühl eine Familie um sich zu haben, ein wenig kindliches Staunen über die Weihnachtsdekoration, ein glückliches Beisammensein beim gemeinsamen Essen, angeregte Gespräche und dieser gewisse Funken, der mich wissen lässt: Es ist Weihnachten. Doch nichts davon kam. Tak und Ayano brachten ohne Frage eine Menge Freude und Elan mit und begannen schon bald nach der Ankunft mit Katharina und Lee herumzublödeln, doch es war irgendwie nicht das, was ich erwartet hatte, auch wenn ich selbst nicht so recht in Worte fassen kann, was dies eigentlich gewesen wäre. Niemand sagte irgendetwas zur Dekoration, alle machten sich lustig über die "komische Musik" und weil Katharina und Lee bereits gegessen hatten, aßen Ayano und Tak alleine. Ein wenig traurig saß ich auf meinem Platz und fragte mich, wie der Abend so schief gehen konnte, obwohl ich mir doch so viel Mühe gegeben hatte, damit alles perfekt werden würde. Und während ich noch innerlich schmollend dasaß, kam Cassy, die chinesische Kanadierin, vorbei und gesellte sich zu uns. Gemeinsam begannen wir Karten zu spielen und während alle lachten und Spass hatten, wünschte ich mir innerlich das Ende herbei.
Das wäre nun ein ziemlich trauriges Weihnachtsfest geworden, wenn ich nicht angefangen hätte zu denken. Denn ich begann darüber nachzudenken, warum ich unzufrieden war. Ich warf einen Blick in die Runde und sah lachende Gesichter, Menschen, die Spass dabei hatten Karten zu spielen, sich angeregt unterhielten, nach Belieben Essen nahmen und gemeinsam Späße über einige Weihnachtslieder machten. War das denn nicht eigentlich eine angenehme Atmosphäre, die man mit den anderen zusammen genießen konnte? Irgendwie ja schon, sagte ich mir selbst, und gestand mir letztlich ein, warum ich unzufrieden war: Weil es nicht das Weihnachten war, das ich gewohnt war, das Weihnachten, das ich versucht hatte zu inszenieren. Und mir wurde klar, dass mit diesen Erwartungen der Abend nur zum Scheitern verurteilt sein konnte, denn wie man es drehte und wendete, es konnte niemals das Weihnachtsfest werden, das ich gewohnt war: Es gab keine Familie, es gab kein Festmahl, keinen Weihnachtsbaum und vor allem niemanden mit dem ich diese Gewohnheit in irgendeiner Weise teilen konnte. Und dann kam der Teil des Abends, der am meisten Überwindung kostete: Einfach Loslassen. Sich lösen von den Gewohnheiten, von den Bräuchen, von Erwartungen die man an Weihnachten stellt, weil man es nicht anders gewohnt war. Und als ich den Ballast "Wie Weihnachten zu sein hat" fallen ließ, war ich endlich bereit mich auf ein neues Weihnachtsfest einzulassen: mein Weihnachtsfest hier in Japan. War es wichtig welche Dekoration an den Wänden hing? Eigentlich nicht. Musste man unbedingt besinnliche Weihnachtslieder im Hintergrund laufen haben? Eigentlich nicht. War es unabdinglich, dass alle gemeinsam am Tisch saßen und zur gleichen Zeit aßen? Sicher nicht. Das worauf es für mich ankam, war es Menschen um sich zu haben, die mir wichtig waren. Und das hatte ich. Zwar nicht meine Familie, aber doch fast all die neuen Freunde, die ich in den letzten Monaten in Japan gefunden hatte.
Und so genoss ich den Rest des Abends, spielte begeistert Karten, alberte mit Tak und stopfte mich mit Essen voll, wenn immer mir danach war. Es war nicht so, dass ich einfach einen normalen Abend gehabt hätte, nein, es war einfach ein neues, individuelleres Weihnachten. Ich ließ nur karibische Weihnachtslieder laufen, die vor guter Laune und Elan nur so sprühten, bot allen deutschen Tee als "Weihnachtsgetränk" an und nutzte die Plätzchen und Weihnachtssüßigkeiten als Einsätze beim Kartenspiel. Und jeder hatte Spaß und genoss den Rest des Abends.
Film1: Ayano spricht Deutsch: "Freut mich. Wie geht es dir, Emi? - Danke. Es geht mir gut. I have no (idea what I just said)."
Film2: Tak spricht Deutsch: "(...) David. Freut mich. Wie geht es dir, David? Also wollen wir nach (Hause gehen?)"
Ja, ich hatte losgelassen, von dem Weihnachtsfest, das ich gewohnt war, obwohl ich bisher immer dachte dies schon vor Jahren getan zu haben. Doch was blieb schließlich übrig? Man kann sich sicher darüber streiten, ob ich am fünfundzwanzigsten Dezember in Japan Weihnachten gefeiert oder einfach nur einen Abend mit Freunden verbracht habe. All das, was ich immer mit Weihnachten verbunden hatte, war an diesem Tag verschwunden oder in den Hintergrund getreten: Weihnachtsbäume, Lichterketten, Familie, Weihnachtslieder, Gottesdienste, Weihnachtsgebäck, Geschenke oder einfach nur ein Festmahl. Aber machen all diese Dinge denn Weihnachten aus? Ich sehe mich nicht als religiösen Menschen und habe Weihnachten nie mit der Bibel in Verbindung gebracht, sondern immer mit der Zusammenkunft von Menschen, die einander etwas bedeuten. Aber hat man all diese Menschen nicht ohnehin immer um sich? Seine Familie, seine Freunde? Wodurch unterscheidet sich dann eigentlich noch das Weihnachtsfest? Möglicherweise sind es die Geschenke und Glückwünsche, die an diesem besonderen Tag die Zuneigung in einer besonderen Geste ausdrücken sollen, um noch einmal besonders hervorzuheben wie wichtig einem eine andere Person ist. Doch wenn diese besondere Geste Weihnachten kennzeichnet, dann habe ich hier in Japan mit jeder eMail, jedem Paket, jeder Postkarte, jedem Anruf und jedem Brief aus Deutschland Weihnachten feiern dürfen.
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